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Mittwoch, 17. Oktober 2018

Serien: "Better Call Saul" - Staffel 4 [USA 2018]


Slippin' Jimmy (Bob Odenkirk) hatte nie eine Chance. Sie haben ihn nie akzeptiert, ihm nie verziehen. Vier Jahre "Better Call Saul" sind vergangen. Die Andockung an das Mutterschief "Breaking Bad" wollte nicht dadurch gelingen, dass "Better Call Saul" den süffisanten Unterton in den Gerichtssaal hinüberträgt und dass Albuquerque nach wie vor zur kriminellen Hinterlandschaft taugt. Spätestens im vierten Jahr "Better Call Saul" erreicht das Spin-off eine emanzipatorische Größe in der moralischen Unbegreiflichkeit seiner Hauptfigur. Mit Sympathiebekundungen hat es der Zuschauer schwer – Jimmy changiert zwischen Versager und Verhinderer, der die tollsten Abkürzungen (des Rechts) nimmt, sein Selbstwertgefühl zu steigern und eine Menge Geld zu scheffeln. Obwohl Jimmy vom Schicksal gebeutelt ist – sein Bruder Chuck (Michael McKean) strafte ihn mit Verachtung und Minderwertigkeit –, lehnt sich Jimmy gegen die Mächte auf, die sich über ihm zusammenbrauen. Die Showrunner Vince Gilligan und Peter Gould fragen in der nunmehr vierten Staffel "Better Call Saul" explizit danach, ob man gewinnen kann, wenn man aus seinem vorgezeichneten Weg heraustritt. Ein "Gewinner" ist Jimmy vielleicht nicht immer, aber ein Verkäufer. Er verkauft Wegwerfhandys, das Recht. Auf die Frage, was ihm dieses bedeute, stottert er, ringt er mit seiner Fassung, füllt seine manischen Monologe mit Fülllauten auf. Jimmy lebt das Recht nicht. Er belebt es.

Die Anwaltstätigkeit diente Jimmy eher als Legitimation, von dem Sofa aufzustehen, auf dem er gelangweilt "Doktor Schiwago" verfolgte. Nach dem Tod seines Bruders, und nachdem dessen Anwaltspartner Howard (Patrick Fabian) die Schuld für sich einforderte, geht ein fröhliches, lastabfallendes Pfeifen mit Jimmy durch. Die Tür für Saul Goodman sperrt sperrangelweit offen. Jimmy taumelt in einen Loop aus Ausschweifung und Gerissenheit. Marshall Adams (Kamera) und Skip Macdonald (Schnitt) ist es, wie in den vorherigen Staffeln, zu verdanken, dass Jimmys Eskapaden um des Spaßes willen wachrüttelnde Wirkung entfachen: Ein Straßenverkauf gerät zur rituellen Geldfabrikation ("Eine wilde Fahrt", 4×05), die Kamera steht auf dem Kopf ("Piñata", 4×06). Wo sich Jimmy woanders sieht, als dort, wo er Paragraphen paraphrasieren muss und voller Neid das Büro Kims (Rhea Seehorn) abmisst, ist es um Kim selber nicht besser bestellt. Kims anwaltlicher Pragmatismus bleibt unbefriedigend. Sie sieht sich nicht mehr im Verrücken und Nachverhandeln ökonomischer Interessenvertretungen. Die Akte Mesa Verde – Ablage, höchstens. Die "großen" Fälle will sie künftig durch kleine Leute. Aber den großen Fall gibt es dort nicht. In "Reden" (4×04) sitzt Kim unter den Zuschauern und hört dem Richter zu. Isoliert wirkt sie und desillusioniert, ein trauriges Partikel fernab jener, bei denen sie sich als Anwältin der Gerechten zu empfehlen überlegt.


Gilligan und Gould nehmen sich ausreichend Zeit, das Echte und das weniger Echte in der Beziehung zwischen Jimmy und Kim in Erfahrung zu bringen. Die Serie spielt, zockt. Kein Wunder. Denn Jimmys Vervollkommnung zu Saul führt einzig über das Spiel, das Bespielen, die Verkleidung. So hecken die beiden mehrere Spiele aus. Sie überzeugen die stellvertretende Bezirksstaatsanwältin (Julie Pearl) mit unwahrscheinlichem Aufwand, das Strafmaß von Jimmys Handlanger-Kompagnon und Polizistenschläger Huell (Lavell Crawford) zu reduzieren ("Coushatta", 4×08). Das Auf und Ab von Jimmy und Kim verschachtelt sich fortwährend. Schneidet Skip Macdonald in "Something Stupid" (4×07) Bilder zu einem existenziellen Entfremdungsrhythmus aneinander, der räumlich verschaltet ist, brandet ihre unumwunden asexuelle Intimität vollends auf, wenn sie ihr Spiel gemeinsam gewonnen haben und Kim Jimmy einen Kuss drückt, einen leidenschaftlichen, den leidenschaftlichsten. "Better Call Saul" hat die Schwäche von "Breaking Bad" neutralisiert – die Frauenfiguren sind weder enervierend noch altbacken. Hinter Kim als Spiegelfläche zu Jimmy steckt mehr: der Versuch, zu Jimmy durchzudringen. Sie erhofft, ersehnt sich das "Echte", etwa das echte Gefühl, wenigstens eine Emotion, einen Wert, der nicht bereits zum Spiel an sich dazugehört.

Kim scheitert an Jimmy, der Zuschauer scheitert an ihm. In der finalen Szene der Staffel, die sicherlich nicht von ungefähr an "Der Pate" erinnert, wird sie von Jimmys sozialem Raum abgestoßen (so wie Jimmy von Kims sozialem Raum abgestoßen wurde). Manchmal gewinnt der Unehrliche, der stürmisch Zwanglose, nicht der Ehrliche, der Bedachte. Obgleich Jimmys Antrieb, die Dinge nach seiner Art anzupacken, auf äußerliche Umstände projiziert werden kann und Jimmys Innenleben daher per Drehbuchseite Purzelbäume schlägt, lässt die Serie ihn in einem diffusen Schwebezustand. Greifbar(er) und, infolgedessen, eine Spur vorhersehbarer vernetzen die Showrunner den zweiten Haupthandlungsstrang und reichern ihn um Elemente an, die eine markantere "BreakingBad"-Tonalität aufweisen: brutale, rücksichtslose Gangsterwirtschaft um den Detailgräber Mike (Jonathan Banks) und den Geschäftspoeten Gus (Giancarlo Esposito). Fanservice zuhauf. Oder, mindestens, wehmütige Erinnerungen an den Mann mit der Klingel (Mark Margolis), an den Chemiker Gale (David Costabile), vor allem an das fulminant funktionierende Drogenlabor, in dem Walt und Jesse einst kochten. Dessen Vorgeschichte erzählen Gilligan und Gould zwar wohlportioniert lakonisch, aber Mike und Gus sind Mike und Gus. Sie haben sich kein Stück verändert. Banks und Esposito tragen ihre Figuren – allein, sie tragen sie seit mehreren Staffeln "Breaking Bad" und "Better Call Saul".


Das ist das wohl schwerwiegendste Problem dieser Staffel: Gus ist als Figur langweilig geworden. In "Breaking Bad" sahen wir ihn als Hausmann, Ehemann und kultivierten Koch. Diese Seite von ihm verkomplizierte einen Charakter, der einen Münzwurf davon entfernt war, sich das Gesicht gegen ein anderes abzuziehen. Ein adrettes Understatement, ein genüssliches Wechselspiel, dem die Autoren in der vierten Staffel "Better Call Saul" nicht sonderlich gerecht werden. Gus verdient sich seine Brötchen als ruhender, gewiefter und ausgeschlafener Unternehmensphilosoph, während er in "Piñata" (4×06) einen von Gennifer Hutchison angestrengt geschriebenen Monolog hält, der ihn als das charakterisiert, wofür er insgeheim keinen Monolog gebraucht hätte: Eine Geschichte aus der Kindheit, in der Gus gegenüber einem Nasenbär Rache schwor und eine Tierfalle aufstellte. Er wartete. Und wartete. Bis er seine Rache bekam. Mit Nachdruck verweist Hutchison auf die Taktik Gus', unersättlich bis zu dem Moment, in dem er da ist, auszuharren. Bloß: Dadurch wird eine Figur beschrieben, ja ausgeschrieben, dessen Geschicklichkeit insbesondere im Scheinbaren und Angedeuteten, im Schweigen und Beobachten lag. Über Gustavo Fring vermag die Serie nichts Substanzielles hinzuzufügen. Seine Gründlichkeit und stoische Übermäßigkeit hat mit seinem Sicherheitschef Mike einen idealen Partner gefunden, der sich bezahlt macht.

Mike muss eine deutsche Delegation aus Architekten und Sprengmeistern unter der Leitung Werner Zieglers (Rainer Bock) beaufsichtigen, die einberufen wurde, eine Drogenküche (jene aus "Breaking Bad") zu bauen – der schwarzhumorige, möglicherweise sogar verspielteste Teil im vierten Jahr "Better Call Saul". Da die Männer monatelang von der Außenwelt abgeschottet leben müssen – immerhin bewohnen sie eine gigantische Halle, die alle Vergünstigungen für sie bereithält –, quält sich hauptsächlich Werner mit Heim- und Liebesweh. Als er die Anlage fluchtartig verlässt, um seine Frau zu sehen, muss Mike handeln. Schließlich wusste Mike, worauf er sich einließ. Die Widersinnigkeit in dem ausgemergelten, steinzeitalten Gesicht Mikes, das sich bei Werner emotional öffnete, ist eine sagenhafte Attraktion, und zum ersten Mal sinniert ein freiwilliger Krimineller darüber nach, warum er freiwillig kriminell wurde, ohne etwas zu sagen. Unter einem romantischen Sternenhimmel erledigt Mike seinen unromantischen Job. Das freiwillige Kriminellendasein aus Leistungsüberzeugung und Spaß kennzeichnet die meisten Akteure von "Better Call Saul", aber auch "Breaking Bad". Sie würden bei der Frage allesamt stottern und mit ihrer Fassung ringen, was ihnen das Gesetz bedeute. Sie lassen sich für ihr Spiel anschießen, verkaufen sich, verkaufen andere. Die entflohene Panik in ihren Augen bedeutet nur, dass sie zweitweise selbst zum Spielball geworden sind.

7.5 | 10

Montag, 15. Oktober 2018

Serien: "Better Call Saul" - Staffel 3 [USA 2017]


Aus einer sonnenuntergangsflutenden Vereinigung zum grünen Ausgangsschildchen, elektronisch rieselnd und zirpend: Da ist Jimmy (Bob Odenkirk), Kim (Rhea Seehorn), Chuck (Michael McKean) und Mike (Jonathan Banks), und wo der eine, Jimmy, unabhängiger den Sinkflug moralischer Katastrophenkalkulierung ansteuert, begibt sich der andere, Mike, abhängiger in die geschickten Hände Gus Frings (unscharf, dann alltäglich: Giancarlo Esposito). Mit Präzision ist das ein einziges Biografiegeschiebe, durchtränkt von Schattenlicht und des Größermachens, das in der Demontage endet, im erlöschenden Lampenlicht – Chucks Geschichte ist eine tragische Selbstentfremdungsparabel, stetig balancierend auf dem Seil persönlicher Narzissmen und pathologischer Integrität. Die dritte Staffel ist an einem Punkt angelangt, an dem sie ihre juristischen Seitfallzieher nicht mehr unter den Figuren verwebt, sondern haarsträubend spannend ausspielt, zu einer klassischen Form des aufwühlenden Konfrontationsspiels aus "Breaking Bad" zurückkehrt (wenn Nacho einen gefährlichen Pillentausch vornimmt) und Jimmy mit den kleinen, weniger erbaulichen Erlebnisgeschichten bestickt, die hinter der Komödie dauerhaft die Gefahr birgt, ohnmächtig zu werden: Jimmy erprobt sich als erfolgloser Regisseur von Werbeclips, schuftet Sozialstunden ab und betrügt (noch) rüstige Rentnerinnen. Sein Weg ist vorgezeichnet, aber noch nicht zu Ende. Saul Goodman ist noch nicht zu Ende geboren. Chuck aber zu Ende verworfen. Und Mike ein Sinnbild für die vollautomatische Zahnrädchenphilosophie der Serie.

8 | 10

Freitag, 29. April 2016

Serien: "Better Call Saul" - Staffel 2 [USA 2016]


Wir kennen Mike (Jonathan Banks), und Mike steckt in einer allzu vertrauten "Mike-Situation" im allzu vertrauten "Better-Call-Saul"-Modus: Er inspiziert mit einem Scharfschützengewehr eine Zielperson, ist gespannt, wartet, lauert. Denn vor der Zielperson verengt sich in ermüdender Schwerfälligkeit das Blickfeld, wird von einer zweiten Person fatal behindert. Die dramaturgische (Kaugummi-)Dehnung der erzählenden Zeit, sie war und ist ein Stilmerkmal dieser Serie. Wo sie bedächtig beschleunigt und, vor allem, bequem entschleunigt, im extrovertierten Fabulieren, geschieht nicht die geringste Regung – außer dass die Kontinuität der Gegenwärtigkeit ins Stocken gerät. Davon wissen Mike und Jimmy (Bob Odenkirk) genauestens Bescheid. Beide sind verdammt, unangepasst zu sein. Mike als grüblerischer Landstreicher, Jimmy als ausgeleerter Kaffeebecher, der nicht recht in seine Umwelt, in den Getränkehalter seines Autos, passen will. Um zu gewährleisten, dass die Welt um sie herum nach ihren Dogmen funktioniert, stellen sie persönliche (destruktive) Regeln auf, unfähig zu erkennen, dass alles um sie herum erlischt. Das Leben mag formbar sein, aber es kehrt stets zu seinen ursprünglichen Rahmenbedingungen zurück. Mike und Jimmy sind gezwungen, normal zu werden. "Better Call Saul" irrlichtert unverblümter durch bewährtes "Breaking-Bad"-Terrain, erzählt im zweiten Jahr fraglos aufwühlender eine hyperventilierende Anwaltsposse (samt fiebrigem Elektrizitätsgeflimmer) in einem knochenvertrockneten Crime-Thriller – "Im Zeichen des Bösen".

7 | 10

Donnerstag, 16. April 2015

Serien: "Better Call Saul" - Staffel 1 [USA 2015]


Die lethargischen bis wilden Bilder in "Better Call Saul" sagen uns das Altbekannte auf: ein eingeklemmter Niemand, fixiert in einer symbolisch angeschnittenen Wiederholschleife (des Druckauswurfs), mürbe und zermürbt; ein ausgebeulter Abfalleimer. Warum es ein heikles Unterfangen darstellt, das Spin-off von "Breaking Bad" von der ersten Folge an zu umschwärmen, resultiert darin, dass sich "Better Call Saul" angesichts seiner aufgeweichten (Fanservice-)Fallhöhe diametral zu "Breaking Bad" verhält: Bob Odenkirk überhöht den schüchternen Bruder einer zornigen Schwester. Er operiert mit einem Datenfundus, mit Irrealem, während Bryan Cranston den Körper spannte, das Tierische und Viehische. "Breaking Bad" war eine physische Serie, "Better Call Saul" hingegen rangiert psychisch zwischen den Extremgefühlen, ist repetitiv (der Parkmarken-Gag), ja mehr süßlich statt säuerlich, stilistisch seit "Breaking Bad" überaltert (leider kein Kulissenwechsel) und überstülpt dem Publikumsliebling wie Mike (Jonathan Banks), dessen elegischer Parallelstrang nichtsdestotrotz interessanter wirkt als der des tristen (Wüstenhöllen-)Advokaten, eine klischeehafte Noir-Familienentmystifizierung. An "Better Call Saul" scheiden sich die Anwälte, wohl auch deshalb, da der Schachzug in Kenntnis der Ereignisse längst gemacht ist und ein Kelch weiter gefüllt wird, obwohl er überschwappt. Und dennoch: Die dialogischen Minidramen und zähflüssigen Anekdoten, die unterstreichen, dass Serien ausdauernd avantgardistisch erzählen können, wenn sie wollen, bestärken auch "Better Call Saul" (teilweise).

6 | 10