Bleiern sitzen gleichgeschaltete Zuschauer vor der Bühne, klatschen zurückhaltend, johlen parteilogisch, erheben sich, wenn sie sich erheben sollen. Trotz David Bowie, Iggy Pop und den Talking Heads spürt man, dass das musikalische Sowjetrussland der 80er Jahre mehr Schwung und weniger Schranken braucht. Das Versprechen "Schwung" (respektive Lust, Lebenslust, allgemein Lustreizung) löst Kirill Serebrennikov dort ein, wo er seine Protagonisten loslöst: in comicästhetisch collagierten Clips, in denen der Gesang auf die Bevölkerung und deren Alltag überschwappt. Ob "Psycho Killer" in einem Zug oder "The Passenger" während einer Busfahrt – "Leto" verrührt, momentweise, ein ideologisch-eskapistisches Gegengift ohne ein Narrativ spießig-systemtreuer Werte (die in einer der witzigsten Szenen der Musik dennoch nachinterpretiert werden müssen). Aber ekstatischer Gesang und damit die Positionierung des Selbst inmitten einer Welt der Selbst-Losigkeit ist nicht nur alleiniges Thema von "Leto". Serebrennikov erzählt nebenher eine Geschichte fragmentarischen Zusammenseins maßgeblich am Beispiel einer Dreiecksbeziehung (Irina Starshenbaum, Roman Bilyk, Teo Yoo), die, wortwörtlich, im Untergrund ihre eigenen kruden Wege beschreitet. Das Erzählmaterial dieses Films ist demnach nicht "frei" – nicht frei von Liebkosungen aus dem Drehbuch-Wallmart, vor allem nicht frei von komplizierten Gefühlen einer komplizierteren Liebe gegenüber. Anstatt die Liebe zur Musik auszukosten, ist "Leto" ganz viel Schmalspurdrama und die Aufforderung zum Streiten.