Allem Lebendigen sei das Zentrum der Welt gemein, schrieb Friedrich Nietzsche. Die Grenzen der menschlichen Erkenntnis erschöpfen sich an ihrer Barriere, dass Wahrnehmung ausschließlich zentralistisch und deshalb ausschließlich interpretatorisch gedacht werden kann. Wie der eigene Standpunkt eine gleichsam absolute erkenntnistheoretische Perspektive einnimmt, avanciert in "Paterson" ebenso zum Zentrum einer Erzählung ohne Spuren einer großen Erzählung. Adam Driver schlüpft in einen Anzug des Zyklenläufers, der jeden Tag deckungsgleiche Hürden seiner familiären wie beruflichen Existenz umspringt. Paterson, so sein richtiger Name, ist in Paterson, der Stadt, verwurzelt, gefangen, kulturell verstöpselt. Wie könnte es auch anders sein. Von Montag zu Montag zeigt er sich in seiner determinierten Rolle als Busfahrer, Lyriker, Freund, Hundenörgler und Kneipenkumpel. Driver mimt diesen allgewaltig am Chaos vorbei sinnierenden Zufriedenheitsbummler mit der Kunst des Nichtergebnisses, mit der Attitüde geheimnisumnebelten Eigensinns. "Paterson" erzählt über die Monotonie des Herausgebrochenen, über den Datenverlauf des sich darunter verbergend Inspirierenden.
Der Film rekurriert dabei auf den Motiven, die das Kino von Jim Jarmusch im Grundlegendsten umschlingen: Jarmusch bastelte abermals an einem Film trister Vertrautheit, der das Mysterium wählt, wenn er doch nur das schlichte Sein zur Auswahl stellt, und er ergänzt diese Schläfrigkeit zu einer selektiven Lebensermattung kurz nach dem ersten Griff zu schlafsandverkrusteten Augen. Durch Jarmusch lernen wir ein Gefühl des uns gänzlich anders erscheinenden Zeitbegriffs kennen, der uns stets den paradoxen Widerspruch zwischen dem Alltag vor und in der Leinwand verdeutlicht. Ein "langweiliger" Arthouse-Scheinphilosophiefetzen aber ist "Paterson" eigentlich nie. Sowohl der Schauplatz Paterson als auch der Protagonist Paterson bilden das Komplettierungsstück einer Kontemplation des Banalen, das im Ort wie im Menschen jenes unterdrückte Glück evoziert, das ein grimmiges Lächeln nach sich zieht. Adam Driver spielt keinen dieser plappernden Jarmusch-Nonkonformisten, die erst werden im Suchen, sondern einen rationalen Konformisten, der im Suchen längst geworden ist – zu einem unveränderlichen Mann, der sich arrangieren konnte, in Worte, aber auch in die Bewegung zu flüchten.
Grobe Gemeinsamkeiten hat "Paterson" wohl mit "Broken Flowers", mit einer vergleichbar fluffigen Daseinskomödie über einen Weg, der sich bis ins Unendliche fortsetzt. Beide Werke, unter dem warmen Mantel grotesker Ironie (in "Paterson" speziell: die, wie in "Coffee and Cigarettes", schwarzweiß durchdeklinierten Requisiten), ernten ihre Lebendigkeit aus der Zartheit des Antiquierten und positionieren sich gegen den modernistischen Habitus des Erreichbar-Seins. In Patersons Bücherregal im Keller steht eine Ausgabe von dem ungeheuerlichen Splitterroman "Unendlicher Spaß" – im Mikrokosmos des zufällig Wuchernden plumpst auch Paterson in die Spiral- und Parabelförmlichkeit des postmodernen Lebens, wo die gesamte Tragweite des Fassbaren nicht mehr fassbar sein kann. Dass in der Gestalt Patersons zugleich ein Vorwand liegt, über Kunst zu reflektieren, Gedichte zu lieben und Hymnen der Rezitation (eine Spur zu pathetisch) zu visualisieren, macht die Natur Jim Jarmuschs aus, das Reale durch das Fiktive zu konstituieren. Vor allem im Abschlussdialog mit einem japanischen Lyrikliebhaber bereist Jarmusch zarte Innenwelten, die frühestens im Traum sinnvoll zerplatzen, wenn der Montagmorgenwecker dann wieder klingelt.
6.5 | 10