Freitag, 22. Januar 2016

"The Hateful Eight" [USA 2015]


"The Hateful Eight" steht am End-, aber auch am Nullpunkt eines vorerst ultimativ abstrahierten, gleichfalls unabwendbaren Spätwerks: Quentin Tarantino beschäftigte sich drei Filme lang (ausladend) mit dem Bewusstsein eines popkulturellen Historismus, bettete seine wortklauberischen Gauner auf bedeutungsvolle zeitgeschichtliche Zusammenhänge. Nazis, Sklaven, nun Westernarchetypen – der Code Tarantino, der persönliche Prozess eines gewieften Videothekenplünderers zu einem politisch interessierten, ja vielschichtig dekonstruierenden Kopfmenschen, überlässt in "The Hateful Eight" nicht mehr dem Kino, dem Bescheidwissen, den Vortritt. Enzyklopädisches Brainstorming, vollgekritzelte Sehtagebücher, die altkluge Filmliebe. So etwas. Und noch viel, viel mehr. Aber: Tarantinos zweiter gezielt deklarierter Western (jetzt: ein Schneewestern) ist vor allem ein Film von Tarantino über Tarantino, über das eigene Kino, die inneren Passionen, die repetitiven Stilmerkmale. Traf sich der Filmemacher davor stets an der Schwelle zu einer reflexiven Lust-und-Lustgewinn-Postmoderne, nicht bloß das Pastiche zu idealisieren (Tarantinos vielfältiges Epigonentum verfiel lediglich jener Geste), sondern innerhalb dieses rekapitulierenden Erfahrungsschatzes das Medium, aber auch die Ordnung der Erzählungen neu zu (über-)denken, folgt "The Hateful Eight". Eine widerspruchslose Teufelsmaschinerie, so verliebt in anderes wie in sich selbst, ein verquerer Eklektizismus, der aus dem Bestehenden doch nur das Bestehende arrangiert.

"The Hateful Eight" ist als überbordend tempoverschleppender Epilog zu "Django Unchained", dem ausdrucksvolleren, ein Quäntchen besseren Film, deswegen vielleicht enttäuschend, weil er anstatt zu beten lieber das wiederholt, was der Pfarrer im Beichtstuhl vorbetet, und zwar drei erschöpfende Stunden lang. Ein sündiges Treiben mit dem Material, Puzzlestückchen und der Selbstverliebtheit – das alles ist es tatsächlich. Tarantino schickt acht verwegene und bärtig vermummte (Filmgeschichts-)Apologeten (kaltknarzig: Jennifer Jason Leigh, übersteuernd: Walton Goggins, äußerst konzentriert: Samuel L. Jackson) zu einer verrammelten Gebirgshütte. Frierend und wärmend harren sie dem Sturm draußen aus. Jaulend und heulend konfrontieren sie einander mit Gift und Galle von Frei- und Unfreiheit. Das intrigante, formstreng gezimmerte Ensemblestück "Reservoir Dogs" adaptiert Tarantino, entfremdet es zu Sherlock Holmes und Sergio Leone, zu raffinierten Enthüllungsmonologen und zu Fatalitäten des Wartens auf das Unabwendbare. Dazu: Red-Apple-Kippen (endlich wieder!), bizarre (Comic-)Brutalität, pointierter Anekdotenwusel über Blowjobs bei schockgefrosteten Temperaturen und ein umstrittenes fünftes Metakapitel, das, ähnlich wie in "Kill Bill", die entmystifizierte Vorgeschichte zu den Ereignissen liefert. Tarantino fällt in diesem Film wenig ein, möglicherweise hat er bereits seinen gesamten Bestand an Western-Pulp-Fiction variantenreich verarbeitet. Glauben tut man es ihm aber nicht. Da "The Hateful Eight" trotzdem unter Beweis stellt, wie sensationell Plattitüde sein kann.

Tarantinos ulkige PR-Kampagnen kräftig fütternder achter Film ist nämlich, so viel steht fest, zugleich sein atmosphärischster. In keiner seiner vorherigen, dezent überkünstelten Arbeiten (als ein ästhetisch hintersinniges Konzept veranschlagt) verorten Morricones sinistre Noten, die der Faszination des anbrechenden Unwetters ein Stück unheilvolle Dämonie entlocken, ein wundersames Zerrbild archaischer Natur, in der eine Kutschfahrt zum betörenden, windigen Panavision-Gemälde erstarrt – und zeitlupengefasste Pferdeköpfe die Poesie erobern. In dieser Natur verkommt die Natur des Tötens selbst zur wichtigen Entscheidung über Leben und Grube – Tarantinos lethargisch gestresste, gleichwohl fiebrig eskalierende Figuren, Träger cinephiler Leidenschaft, müssen sich einmal mehr um Kopf und Kragen reden. Alptraumhaft lange Kopf-und-Kragen-Dialoge über eine Abraham-Lincoln-Brieflegende, verräterische Süßigkeiten, die Todesstrafe und Handschellen. Die komplementäre Gruppendynamik, in deren Verlauf Seiten, Fronten und Ismen aufgebrochen werden, stabilisieren Tarantinos "neues" Kino, den Mythos Geschichte zu unterlaufen: Seine Typen und Tyrannen, Aasgeier und Arschlöcher beugen sich einem fiktiven Kino im Mantel der Genres, Grenzen und (Schein-)Vergangenheiten, um letztendlich von diesen körperlich völlig vernichtet zu werden. Tarantino hatte Spaß hieran. Wie immer. Weil sich Tarantinos versponnene Bilder immer über die Lüge definiert haben, die Wahrheit zu verbergen. Und über das Triviale den Erkenntnisgewinn mitzuteilen.

7 | 10