Stephen King beschreibt und verarbeitet genussvoll wie kaum ein
anderer postmoderner Schriftsteller zwischen Plattitüde, Fußnote und
Ausschmückung, und ich vermag mich zu erinnern, wie ich seinen
halbverrückten Psychosen, seinem Wahnsinn zum ersten Mal begegnete, der
mich ab da gefangennahm. Wenn die Erfindungsgabe einer Geschichte wie
ein in die Höhe schießendes Feuer lodert und ihr Schöpfer, der Typ mit
dem Feuerzeug, Licht ins Dunkel auf einem weißen Papier bringt, dann ist
King für mich seither jener, der die ungeahnten, unerforschten
(dunklen) Bereiche meiner Fantasie in Brand setzt.
"Im Kabinett des Todes", ein stilistisch eigenbrötlerischer
Kurzgeschichtenband, führte mich seinerzeit in einem Bücherladen
irgendwo in Halle heran an den Kosmos King. Damals hatte ich keine
Ahnung, wie verknotet, unwiderstehlich durchtrieben und doppelt codiert
dieser sein würde. Ausgerechnet dieses Buch suchte ich mir für eine
Buchvorstellung in der Schule aus, und sowohl die Deutschlehrerin als
auch meine eigene Mutter guckten schief, als ich mit meinem ersten
Stephen King aufkreuzte, das Buch unterm Arm in freudiger Erwartung,
erstmals in die "Erwachsenenliteratur" hineinzuschnuppern. Sei das
wirklich gut, sei das für dich vorteilhaft? Die Vulgarismen im Buch,
darunter "Pisse" und "ficken", habe ich Schelm bewusst abgeschwächt und
mit Bleistift darüber korrigiert. Die Note der Vorstellung war okay, was
aber blieb, war das zurückgedrängte Grinsen, die verzogenen Mundwinkel
und die schwabbeligen Sorgenfalten des inneren Konflikts jener Türsteher
der Pädagogik, die glatt einigen hysterischen, moralinsauren
Stephen-King-Archetypen alle Ehre machen würden. (Das behielt ich aber
für mich, weil ich die dafür entstaubten Sirenen der Schulpsychiatrie
bereits vermutete.)
"Schreiben ist Magie, ist das Wasser des Lebens, genau wie jede andere kreative Kunst auch. Es ist umsonst. Trinket also.
Trinket und erquicket euch."
Das ist es: Wir Horrorfreunde und King-Verehrer müssen uns und
unseren schlechten Geschmack in ermüdender Regelmäßigkeit mit unseren
kranken Obsessionen vor aller Öffentlichkeit rechtfertigen. Dabei ist
Horror, das Grauen und seine Blüten, die schöpferische Reflektion des
ebenso alltäglichen Entsetzens wie der spürbar durchdringenden
Faszination zutiefst menschlicher Rationalität, dennoch einen Kreis um
eine Leiche auf dem Bürgersteig zu bilden. Des Horrors signifikant
moralischer Widerspruch von Selbsterhaltung und Brutalität wird allzu
häufig als gemeingefährliches Bekenntnis zum Nihilismus verklärt, weil
der Horrorkünstler in der Regel nicht das zu berichten hat, bei dem sich
die Parteien in stiller Harmonie schlussendlich kathartisch in die Arme
fallen. Das Genre erfreut sich im Zuge des innewohnenden
Kulturpessimismus einer geringen künstlerischen Wertschätzung, doch kein
anderes instrumentalisiert das Urthema der Furcht derart
umschaltschnell, dass wir in den besten, fantasiebegabtesten und
erzählintelligentesten Horrorgeschichten nicht mehr wissen, ob wir
bewusst wachen oder unbewusst träumen.
Horror ist Anschauungsunterricht, ein Probetraining dafür, dass uns unsere in aller Ursprünglichkeit ausbuchstabierte Sterblichkeit vergegenwärtigt wird; der Horror nimmt unsere Hand, führt uns zur Klinke einer Tür, die wir im normalen Leben niemals ohne Weiteres öffnen würden, aber uns bedingungslos anzieht. Und dahinter können wir einen Blick erhaschen, nicht nur auf die Leiche auf dem Bürgersteig, sondern in die monströseren Auswüchse der menschlichen Psyche. Oder auf Dinge, die wir nicht ansehen wollen, aber trotzdem nach ihnen greifen, "in einer Welt, die niemals war und niemals sein kann".
Horror ist Anschauungsunterricht, ein Probetraining dafür, dass uns unsere in aller Ursprünglichkeit ausbuchstabierte Sterblichkeit vergegenwärtigt wird; der Horror nimmt unsere Hand, führt uns zur Klinke einer Tür, die wir im normalen Leben niemals ohne Weiteres öffnen würden, aber uns bedingungslos anzieht. Und dahinter können wir einen Blick erhaschen, nicht nur auf die Leiche auf dem Bürgersteig, sondern in die monströseren Auswüchse der menschlichen Psyche. Oder auf Dinge, die wir nicht ansehen wollen, aber trotzdem nach ihnen greifen, "in einer Welt, die niemals war und niemals sein kann".
"Kinder, Bücher sind Wahrheit inmitten von Lügen, und die Wahrheit dieses Buches ist schlicht und einfach: Der Zauber existiert."
Stephen Kings abwechslungsreiche Horrorgeschichten sind hierbei die
Quellen unendlicher Zitatlust, innerhalb eines persönlichen Universums
alles (oft auch autobiografisch) zu kommentieren und metafiktional zu
verarbeiten, was im schlimmsten Fall Alpträume, im besten Fall
Entführungen hervorbringt, mich in eine Zeit zu zerren, in der ich alles
akzeptiere, wenn die Geschichte packt. Auf anachronistischen,
transzendenten Spuk ("Der Buick") versteht sich King dementsprechend
ebenso, wie er körperwuchernden, grenzwertig viehischen Ekel ("Stark")
illustrieren kann. Sozialogischer Horror ("Shining") existiert mit
spielerischer Leichtigkeit neben alltagspsychologischem ("Sie"),
Geschichten von adoleszenten Träumern ("Die Leiche") neben denen, die
ihre Ideale verraten müssen, um zu überleben ("Friedhof der
Kuscheltiere"), emanzipierte Frauen (Dolores Claiborne) neben
wankelmütigen Schriftstellern (Jack Torrance), hin- und hergerissen
zwischen Fürsorge, Liebe und Verachtung. Die King-Figuren leben dort, wo
die reinste unschuldige Normalität, treffenderweise an einem
strahlenden Sommertag in einer provinziellen Idylle, wie in "Regulator",
plötzlich Bestien gebärt, die sich jenseits unseres
Vorstellungsvermögens ansiedeln. Bestien als Metapher eines
versinnbildlichten, universell und vor allem zwischenmenschlich zu
lesenden Bösen, das viel zu lange absichtlich unbeachtet blieb, und
dessen Bekämpfung häufig einer eingeschworenen Gemeinschaft vorbehalten
bleibt ("Es").
Warum King auf der Leinwand in den meisten Fällen dabei wenig
funktioniert, liegt darin, dass das Kino King ironischerweise imitieren
will. Aber Kings vordergründigstes Genie, Figuren in ausgefeilten
Detailbeschreibungen (andere würden das geschwätzig nennen) so
plastisch, transparent und kumpelhaft zu vertiefen, als wären sie
Bekannte und Verwandte, die dem Leser direkt auf die Schulter klopfen,
wirken im Kino gestelzt und affektiert. Ihre existenziellen Spannungen
wirken wie angedichtet, das Wesentliche einer jeden geerdeten oder
übernatürlichen King-Erzählung, der Protagonist, dessen schmerzhaft
rührende Lebens –und Konfliktgeschichte sich fächerförmig um ihn herum
ausdehnt, gnadenlos verfehlt, weil das Kino auch mit entgegengesetzten
Mitteln operiert. Nur wenige Filmemacher haben King-Geschichten klug
entschlackt und dennoch mit rein visuellen Ausdrucksmöglichkeiten ihre
Essenz erfasst: Stanley Kubrick, Rob Reiner, Brian De Palma etwa.
Wenn ich stattdessen King lese, dann begebe ich mich bereitwillig in den Verstand eines Erzählers, dessen mitreißende Kraft der Beschreibung in leisen, intimen Figurenspielen umso nachhaltiger die Macht der von Spinnweben umrankten Fantasie auslotet. Andere werden dies, selbstverständlich, nie verstehen – aber, um mit einem abgewandelten Zitat Edgar Rice Burroughs' zu enden: "Lesen Sie eine King-Seite, und ich bin vergessen."
unbearbeiteter Originalartitel
Wenn ich stattdessen King lese, dann begebe ich mich bereitwillig in den Verstand eines Erzählers, dessen mitreißende Kraft der Beschreibung in leisen, intimen Figurenspielen umso nachhaltiger die Macht der von Spinnweben umrankten Fantasie auslotet. Andere werden dies, selbstverständlich, nie verstehen – aber, um mit einem abgewandelten Zitat Edgar Rice Burroughs' zu enden: "Lesen Sie eine King-Seite, und ich bin vergessen."
unbearbeiteter Originalartitel