Ohne über den Sinn oder Unsinn filmischer Übersetzungen in die amerikanische Sprache zu schwadronieren, meldet sich der neue David Fincher zurück, und "Verblendung" verhehlt, wieder einmal, zu keiner Zeit den künstlerischen Umbruch im Bewusstsein eines ehemaligen subversiven Bildverdunklers, stellt ihn gar unumwunden aus. "Verblendung" würdigt in seinen fesselndsten Momenten obsessiver journalistischer Spurensuche "Zodiac", wo es um das zermürbende Dechiffrieren von Fragmenten ging, und um das, womit man wahnsinnig werden kann, sich aber auch in höchste Gefahr begibt.
Aber dass Finchers vorliegende, meist analytische, oft mathematisch dramatisierte Drehbücher sich seit "Panic Room" mehr und mehr dem Diktum lebloser, dafür aber schwelend bedrohlicher Abfilmerei fügen, findet in seiner kriminalistischen Stieg-Larsson-Geschichte über die Verdrängung des Erinnerns, über vertuschte Wirtschaftsverbrechen, die Reputation der Karriere, Enthüllungsgefahr, Misogynie und antisemtische Gesellschaftssysteme eine besonders indifferente Formsprache, die dem Inneren der Figuren zuwiderläuft.
Obwohl Daniel Craig (katzenängstlich; damit konterkariert er sein Bond-Image und spielt es pointiert gegen den Strich) und Rooney Mara (anorektisch, kaltherzig) robuste und doch fragile Persönlichkeiten mit einem hohen Maß an subtilem Zorn verkörpern (Mara mehr als Craig), begreift Fincher sie rein sexuell als sich selbst befriedigende Triebwesen, wodurch es ihm, wieder einmal ("Sieben", "Zodiac"), unmöglich scheint, eine existenzielle Liebesbeziehung zu vertiefen, die trotz aller sexuellen Avancen asexuell in ihrem Wesen der Bestimmung einer tristen Bühnendekoration entspricht.
Zudem strukturiert Steven Zaillian die Handlung in parallel geschnittene Einzelabschnitte, und es zeichnet sich ab, dass sein Vorgehen, der literarischen Vorlage sklavisch nachzuhängen, spätestens im unkonzentrierten Antiklimax-Finale unangenehme Streckungen entfacht, wodurch das Drehbuch einige filmische Erweiterungen vermissen lässt, einen relevanten Schwerpunkt zu setzen, der komplexer ausgedehnt wird. So aber findet sich bei Zaillian alles aus dem Roman, und zu wenig davon kann hinausweisen – über das Stichwort, es wäre da.
Wenn Fincher allerdings audiovisuell protzt und gänzlich filmisch akzentuiert, dann ist er ganz bei sich selbst, dann forciert er einen namenlosen, naturalistischen Schrecken. Formschön vermischt er die stürmische Natur mit Kälte, dem Schneetreiben, Wahnsinn und Blut, intensiviert auf der knurrenden Tonspur tranceartige Wahrnehmungsgeräusche, während er schallende (Enya-)Musik als hintergründigen Gag heranzieht, Gewalt bizarr auszuschmücken (in einer penibel gesäuberten Folterkammer!), die im friedlichen, unschuldig weißen Schweden doppelt schmerzt.
Die einerseits wärmende, anderseits giftige Ausleuchtung, aseptische wie rustikale Innenräume sowie einige Kameraspielereien der präzisen Kadrierung lassen erahnen, wer dieser David Fincher früher einmal war, und dass er heute das bloße Handwerk des Thrills nahezu ehrfürchtig kultiviert hat. Anhand des gemorphten Titelvorspanns – Körpergewebe explodiert und saugt sich anhand von elastischen Latexfäden in das jeweils andere der Figur – ist das Leitthema Finchers explizit codiert: Die rebellische Verwandlung des Äußeren und Inneren dient dazu, sich als Zwitterwesen neu zu erschaffen. Mit einem Ausrufezeichen.
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