Dienstag, 11. September 2012

Die imposanten 7: Akte X-Folgen [Season 4]

      #7 
   »BLUTSCHANDE«   
»HOME«
 (E02)


Ein Kübel beängstigender Horror aus Inzest, genetischen Mutationen und abgestandenen, fallenbestückten Häusern fernab der Moderne, eine durchgedrehte Familie mitten im Provinzkaff, in dem Türen mit Absicht nicht geschlossen werden, das Fernsehen flackert und Baseball ein spielerischer Ausdruck für die Reinheit des Lebens ist. "Texas Chainsaw Massacre" auf dem Lande, eine Zeit bricht an, und zwar die des Grauens in einem Ort romantischer Nächstenliebe. Scully begutachtet eine Baby-Leiche (!) in einer engen Besenkammer, wohingegen der präzise, der treibende Szenenaufbau laute und leise Geräusche meisterlich aneinanderbindet und während eines Mordes am Sheriff mit einer bizarren Note versieht: Eine Schnulze über die wundervolle Liebe ertönt unmittelbar neben dem Zerhacken von prähistorischen Steinzeitmenschen. Mulder nennt Scully "Mum", die kurze Zeit später die Schafe zur Flucht antreiben muss. Krass und lustig. 

    #6  
»TUNGUSKA« - TEIL I 
    ...   
  »TUNGUSK - TEIL II   
 »TERMA«
    (E08/09)


Krycek lebt und niemand weiß, auf welcher Seite er sich positioniert hat, weil er sie nach eigenen Vorteilen ausrichtet. Mulder mag das gar nicht – Krycek muss sich, bevor die beiden nach Sibirien aufbrechen und schließlich in einem Gulag gefangen gehalten werden, einiges anhören; er sei ein ekelhafter Speichhellecker, dessen Moralmaßstäbe weit unterhalb der Kotzgrenze liegen würden, er hätte darüber hinaus einen dämlichen Haarschnitt und steckt wenig später Prügel von Direktor Skinner ein, während er am Balkongeländer festgeklammert ist. Der insgeheim russischsprechende Krycek steckt viel ein in "Tunguska". Mitte der zweiten Folge verliert er gar seinen linken Arm und vertraut fortan auf eine Prothese. Der Fall als solches füllt dagegen das übliche verzwickte Weltverschwörungsprogramm von der Wiederaufnahme des Kalten Krieges zwischen Russland und den USA auf; wieder einmal an verschiedenen Brennpunkten zur gleichen Zeit auf dem Erdball verteilt, nur, dass es diesmal um eine seltene Gesteinsprobe geht, die die aus den Folgen "Der Feind" bekannte, ölige Substanz freisetzt, sobald man dieses Teilstück eines außerirdischen Meteoriten durchtrennt oder beschädigt. Ein rasanter Fluchtversuch, Menschenexperimente im Altenheim, Beweisvernichtungen, explodierende Ölpipelines und das manische Belauern des Feindes auf einen Fehler: Nicht nur werden Worte und Indizien und Theorien ausgetauscht (dies gerinnt in Kongressanhörungen sowieso zur Staffage), sondern vor allem Taten. Taten, die Regeln brechen und auch mehrmals die Diplomatie untergraben, wenn es nötig ist. Äußerst körperbetont also, aber nicht ganz so körperbetont, dass Mulder nicht noch einmal den Fehler begeht, eine neue Freundin ins Beet zu zerren – seine Quelle aus der Regierung, eine attraktive Frau im erotischen Abendgewand, die Mulder Reisepapiere nach Tunguska mitten in der Nacht ausstellt. Innerhalb von drei Minuten. Tja.   

   #5  
   »DIE SAMMLUNG«   
»PAPERHEARTS«
 (E10)


"Akte X" wagt sich nicht zum letzten Mal auf polarisierendes Terrain, wenn sich ein verzweifelter Fox Mulder an jeden Strohhalm klammert, der sich ihm bietet, dem Verschwinden seiner entführten Schwester die Wahrheit zu entlocken. Im Traum wird Mulder von einem rötlichen Licht geführt, das ihn zu einer lange unentdeckten Mädchenleiche bringt, deren inhaftierter Mörder Mulder an der Nase herumführt, als er sagt, dass er auch mit Samanthas Tod in Verbindung stehe. Handelte es sich im Fall Samanthas demnach um eine herkömmliche Entführungsgeschichte eines Geisteskranken (gespielt von Tom Noonan) oder um das, was Mulder glauben will, nämlich eine Entführungsgeschichte außerirdischer Herkunft? Das psychologische Duell dieser beiden ist dicht, persönlich und mündet in raffinierten Tricks aus der Traumwelt in die Gegenwart, dem jeweils anderen ein überzeugenderes Argument auf den Tisch zu knallen und ihn der Scharlatanerie zu bezichtigen.    

  #4 
 »LEONARD BETTS« 
    (E12)


Leonard Betts ist ein renommierter, ein ausgezeichneter Rettungssanitäter, der auf wundersame Weise Krebsgeschwüre diagnostizieren kann. Nach einem Unfall verliert Leonard Betts seinen Kopf und spaziert als enthauptete Leiche ("Sleepy Hollow"?) aus der Halle vermeintlich toter Körper, vermag abgetrennte Gliedmaßen vollständig zu regenerieren und sichert sein Überleben, indem er herausgeschnittenen Krebsabfall isst. Von seiner Mutter geschützt ("Psycho"?), reißt sich Betts unter anderem seinen Daumen ab, um von Handschellen loszukommen. Mulder ist begeistert, Scully vor den Kopf gestoßen (hihi). Eine glibberige, übelschmeckende Monstrositätenschau zerschlissener Körperteile, die auf Scullys eigene Krankheit hindeutet und keinesfalls mit Köpfen, lebendigen Köpfen, nachwachsenden Köpfen, sonstigen Köpfen, Schuppen, Gedärm und Säften spart. Igitt und wie eklig! Aber wunderschön und wie obskur!             

  #3  
»GETHSEMANE« 
 (E24)


Was das für ein Aufschrei gewesen sein muss – der fulminante Cliffhanger kokettiert mit einem toten Mulder, Selbstmord, aus und vorbei; Scully zweifelt dazu eklatant an Mulders Vermächtnis, denn er sei der Lüge aufgesessen. Die Ereignisse überschlagen sich im Staffelfinale "Gethsemane". Auf der einen Seite die geborgene Leiche eines Außerirdischen aus dem ewigen Eis, die anatomisch (in verstörenden Bildern) geprüft wird. Auf der anderen Seite das Maximum aller Verschwörungen, welches besagt, Scullys Krebserkrankung wäre von den gleichen Männern verursacht worden, die Mulder Gründe liefern, dass er seinen Glauben forciert. Keine UFOs, keine Aliens, keine X-Akten, um darüber hinwegzutäuschen, dass illegitime Militäroperationen durchgeführt werden? Mulder wirkt, als ob er dies glauben will, aber nicht glauben darf: Zwei Tränen laufen ihm übers Gesicht. Wir wollen das auch nicht glauben. 

   #2  
   »GEDANKEN DES GEHEIMNISVOLLEN RAUCHERS«  
 »MUSINGS OF A CIGARETTE SMOKING MAN«
   (E07)


Der Raucher war früher Nichtraucher. Der Raucher bekam seine Zigaretten von Lee Harvey Oswald und wurde zum Kettenraucher, verdingte sich als Schriftsteller, der fallengelassen wurde, als es ihm gelang, endlich eine adäquate Geschichte zu schreiben, wechselte wieder zum Raucher, von da an zum Verschwörungsgeek, und es ist keine Seltenheit, dass er schon einmal einen Anruf von Saddam Hussein auf Leitung 2 bekommt. In abweichend visualisierten Lebensebenen verortet die Episode den Antagonisten der Serie als Metapher desillusionierter Regierungspolitik in den Wirren der amerikanischen Geschichte um Kennedy und King. Eine von Rauch und Qualm umnebelte Biografie, die nicht dezidiert darauf schließt, ob sie wahr oder falsch sein könnte. Wie der Raucher auf der Bank neben einer Obdachlosen sitzt, zuvor war er euphorisch, und das Leben ihm als eine Schachtel schädlicher Pralinen vorkommt, die niemand haben will: eine Schachtel Mitleid für den Feind, einem Menschen.  

  #1  
 »EIN UNBEDEUTENDER NIEMAND« 
»SMALL POTATOES« 
(E20)


Luke Skywalker ist verantwortlich, dass fünf Frauen ein Kind vom selben Mann gebären. Alle Kinder haben einen Schwanz, einen Schwanz hinten am Po. Die eine Mutter denkt, dass sie von Luke Skywalker geschwängert wurde, der ihr die Titelmelodie aus jenem Sternenkrieg, den sie 368mal miterlebt hat, vorsummte. Dieser Vater ist der Sohn eines Affenmenschen und besitzt eine zusätzliche Muskelschicht, die es ihm erlaubt, in jede Person zu schlüpfen. Irgendwann schlüpft er in das Kostüm Fox Mulders, der, wie herauskommt, ein tristes Leben in einer Wohnung führt, deren Schlafplatz auf die Schnelle nicht zu finden ist und der Anrufbeantworter vor Sex-Hotlines überquillt. So ganz fühlt sich der Sohn nicht wohl, auch nicht vor dem Spiegel: In "Taxi Driver"-Manier feuert er sich an, schreibt "FBI" zweimal falsch, und als er Scully besoffen küssen will, stürmt der echte Mulder herein. Er müsse laut dem falschen mal richtig leben – und mit Scully mal richtig reden! Na!