#7
»EVE«
(E07)
Ein verschlungener, kniffliger Fall mit Dopplungen überall, mit Klonen,
Zwillingen und verborgenen Eigenschaften. Lässt die anfängliche
Mordserie mit ominösen Malen am Hals der Opfer auf eine altbackene, auf
eine etwas reißerische Alien-Geschichte schließen, so belehren einem die
Ermittler vom Dienst, Dana Scully und Fox Mulder, zügig, dass es hier
stattdessen um verlorene menschliche Laborversuchskaninchen geht, die
von deren Mutter, der Forscherin, zurückgeholt werden. Die
Schlusseinstellung erinnerte mich an Żuławskis "Possession"; sie ist ähnlich verstörend wie rational nicht greifbar, höchstens im
Unterbewusstsein. Was "Eve" auch anbietet: zwei fiese Kinder, zwei fiese
Entführungen und zwei Cola-Becher mit fiesem Inhalt. Als sich die
Ermittler nämlich dazu entschieden haben, eine Diät-Cola zu trinken, haben sie
zunächst keine Ahnung, wie ungesund Diät sein kann.
#6
»DER KOKON«
»DARKNESS FALLS«
(E20)
"Der Kokon" erinnert strukturell an die Folge "Eis" mit dem Unterschied,
dass der Bezugsrahmen für die ebenso zwischenmenschliche wie geografische
Isolation variiert und in einen glitschigen Wald verlagert wird. Dort
hausen giftig grüne Glühwürmchen, die spontan in Entfesselung geraten,
nachdem ein Jahrhunderte alter Baum abgeholzt wurde und sie ihre Opfer
in bizarre Kokons nicht nur einspinnen, sondern auch konservieren.
Weniger buchstabiert diese Episode Spannung aus ihrer Ausweglosigkeit,
den sukzessive flackernden Lichtquellen und dem engen Raum, wo die
Figuren einander eingeschlossen sind vor der Bedrohung da draußen in der
Dunkelheit. Vielmehr kontrastiert "Der Kokon" die Verdichtung einer
Situation augenzwinkernd mit dem Ringen um die Gesetze der Natur: Zwei
Interessengruppen bekriegen sich um deren Zukunft – eine davon wird
getötet.
#5
»BESESSEN«
»SPACE«
»SPACE«
(E09)
…forciert den Gedanken, dass der Weltraum immer noch die entsetzlichsten
Wesen gebärt. Hier ist es eine Fratze, die Fratze des Grauens
wahrscheinlich, wie man das so blumig zu umschreiben gedenkt, die einen
Projektleiter befällt, wodurch zahlreiche Sabotageakte an Space Shuttles
resultieren, deren Besatzung lebensgefährliche Komplikationen im All
umschiffen muss. Funkverbindungen brechen ab, geisterhafte Gespenster
flattern umher, obskure Gesteinsformationen auf fremden Planeten und ein
Chef im seelischen Ausnahmezustand – Stoff, aus dem die Paranoia
gedeiht und der Schweißhaushalt kräftig durchgeschüttelt wird. Entgegen
der landläufigen Meinung, dass es sich hier um eine der schwächsten "Akte X"-Folgen handelt, empfand ich sie als sehr beklemmend. Das hohe
Budget sieht man ihr jederzeit an.
#4
»DIE BOTSCHAFT«
»BEYOND THE SEA«
»BEYOND THE SEA«
(E13)
Gewissermaßen das Gegenstück zu "Ewige Jugend", ist es doch hier
(Gläubigerin) Dana Scully, die eine tiefergehende Ambivalenz erfährt.
Ihr Vater starb (ein geheimnisvolles Seriengesicht: Don S. Davis) und
zeigt sich ihr gegenüber als Geist, dessen letzte Worte Scully nicht
verstehen kann. Zwei Handlungsstränge vermengt die Episode dafür: die
Suche nach zwei entführten Teenagern und das Finden durch
halluzinatorisch-telekinetische Kräfte eines eingesperrten
Todesstrafenkandidaten, der von Brad Dourif expressiv gespielt wird.
Schwarz-weiße-Rückblenden, Visionen und das Hier und Jetzt evozieren
eine zeitversponnene, sich mit erkundeten Bildern gegenseitig
überlagernde Reise, in der Glauben noch lange kein Wissen bedeutet.
Pointiert: Wie Mulder seinen Bekannten in der Zelle zunächst per
Sportshirt täuscht. Was hatte der Vater eigentlich nun zu sagen?
#3
»EWIGE JUGEND«
»YOUNG AT HEART«
»YOUNG AT HEART«
(E16)
Organischer Body-Horror, als ob sich David Cronenberg die bei einer absonderlichen Operation mutierte Salamanderhand höchstpersönlich ausgedacht
hätte. Der Patient, Serienmörder und Gefangener, verjüngt sich
angesichts einer revolutionären Methode um Jahrzehnte – bis auf die
kalten Augen –, damit er mit Mulder noch eine offene Rechnung begleichen
kann. Dieser tötete ihn in seiner Anfangszeit als FBI-Agent bei einem
Schusswechsel, durch den zwei Menschen, darunter ein Kollege, getötet
wurden. Die Folge gefällt, weil sie in Vergangenes blickt und das Trauma
Mulders aufarbeitet, die Figur demnach komplexer gestaltet. Neben dem
suggestiven Umgang mit Schatten (der von den Toten wiederauferstandene
Killer telefoniert ausschließlich im Unheimlichen, sodass das Gesicht
dem Zuschauer lange verborgen bleibt), donnert das Orchester im
Hintergrund religiösen Choral.
#2
»DAS LABOR«
»THE ERLENMEYER FLASK«
»THE ERLENMEYER FLASK«
(E24)
Das morbide Staffelfinale einschließlich grünem Blut menschenähnlicher
Wesen, das aus einer der Wissenschaft zugeneigten Theoretikerin eine, gleichwohl vorerst, überzeugte Glaubensschwester macht,
nachdem sie – in der intimsten Szene der gesamten Staffel – ein
Alien-Embryo in der Hand halten darf. Infolge dessen thematisiert "Das
Labor" die erste biochemische Vermischung zwischen Menschen, die an
unheilbaren Krankheiten leiden, und Genen von Außerirdischen.
Wie gewohnt unterdrückt die Regierung jegliche Beweise; Mulder wird
gefangen genommen, Deep Throat wird angeschossen (erschossen?) und die
Abteilung der X-Akten steht vor kurz vor ihrer Schließung, bevor die
Folge genauso endet wie die erste. Die Fragen sind gleich geblieben, die
Antworten aber kaum in Reichweite, solange die Wahrheit noch da draußen
ist.
#1
»DAS TÄUSCHUNGSMANÖVER«
»E.B.E.«
(E17)
»E.B.E.«
(E17)
In einer der düstersten Mythologie-Folgen verfolgen Scully und Mulder einen LKW-Schwertransport, der Teile eines abgestürzten Wracks einer außerirdischen Existenz zu einem streng geheimen Lagerstützpunkt befördert. Entlarvende Einblicke in die Manipulierung von Fotomontage und Vorzeigeverschwörungsnerds kreuzen sich in einem Roadmovie auf einsamen Landstraßen. Nie war "Akte X" in dieser ersten Staffel leidenschaftlicher in der Auseinandersetzung mit der Wahrheit und deren Lüge, dem Glauben an das eine und der Zwang, wie ein Hai immer weiter im Wasser der bedingungslosen Aufklärung zu schwimmen, bevor man von dem anderen gefressen wird. Am Ende entschwindet Deep Throat dem Nebel, weil die Wahrheit oft diffus und unter dem Dickicht an schleierhaften Geheimnissen kaum zu finden ist.