Donnerstag, 24. Dezember 2009

Literatur: "Die Arena" / "Under the Dome" (Stephen King, 2009)



Story

An einem ganz normalen Herbsttag wird die Stadt Chester's Mill plötzlich auf unerklärliche Weise durch ein unsichtbares Kraftfeld vom Rest der Welt abgeschnitten. Flugzeuge zerschellen daran und fallen als brennende Trümmer vom Himmel, Tiere werden zweigeteilt, Menschen, die gerade in Nachbarorten unterwegs sind, werden von ihren Familien getrennt, und Autos explodieren, wenn sie auf die mysteriöse Barriere prallen. Es ist allen ein Rätsel, worum es sich bei dieser unsichtbaren Wand handelt, wo sie herkommt und wann – falls überhaupt – sie wieder verschwindet. Es gibt kein Entrinnen – und je mehr die Vorräte zur Neige gehen, desto stärker tobt der bestialische Kampf ums Überleben in dieser unerwünschten Arena ...

Kritik

18 Jahre nach "In einer kleinen Stadt" kehrt Stephen King in sein Metier zurück, verknüpft im neuen Monumentalwerk "Die Arena" klassische Horrormythen mit bösartiger Kleinstadtsatire, seziert psychologische Verhaltensweisen einer menschlichen Gemeinschaft, die aufgrund einer übernatürlichen Macht auseinander zu fallen droht, und kreiert darüber hinaus mit sadistischer Freude eine abgeschottete Gesellschaft, die – sobald alle herkömmlichen Gesetze außer Kraft gesetzt sind – einem Hort des Wahnsinns gleicht, in dem sich autoritäre und faschistische Machtstrukturen manifestieren. Die Idee zu diesem Szenario von einer unschuldigen Provinz, welche sich zunehmend ihre eigene Revolution kreiert, kam King schon vor 30 Jahren. Glaubt man dem Nachwort des Buches, scheiterte es nicht am Umfang der Personen (ein Problem, dass King schon in unzähligen anderen Werken erfolgreich gelöst hat), eher an den technischen, de facto den "ökologischen und meteorologischen Auswirkungen der Kuppel." So brachte er es 1976 lediglich auf 75 Seiten – gemessen an den insgesamt 1277 Seiten, die es letztendlich werden würden, ein überschaubares Resultat. Nach einigen Jahren, die ins Land gestrichen sind, nach einer aufwendigen Marketingkampagne, ist der Meister nach seinem exotischen Küstenschocker "Wahn" zurück, mit eben jener Geschichte, die so viel Zeit brauchte, um zu reifen, mit jener Idee, die ihn nie mehr losließ. Nach dem postapokalyptischen "The Stand – Das letzte Gefecht" und dem Meisterwerk "Es" gesellt sich "Die Arena" in Kings Oeuvre zu den großen epischen Erzählungen. Und der Roman ist zugleich ein fieser Schlag in die Magengrube für alle Schätzings und Browns dieser Welt, welche anscheinend nicht verstanden haben, wie man vor allem in diesem Jahr einen langen Roman anständig füllt. Stephen King porträtiert in "Die Arena" viel, um dem Leerlauf zu entgehen. Sein literarisches Monster ist narrativ derart vielschichtig, dass es gelegentlich aus allen Nähten zu platzen droht.

Oberflächlich betrachtet kristallisieren sich insofern Parallelen zwischen "Die Arena" und dem erwähnten "In einer kleinen Stadt" heraus, als dass King Menschen zeigt, die sich – sobald er die Katastrophe kulminieren lässt – mit ihren schlimmsten Eigenschaften austoben. Unter der Kuppel, sozusagen dem kleinen Amerika hinter Glas, begegnet man zunehmend einem grotesken Chaos aus expliziten Vergewaltigungen und anderweitigen Verbrechen. Sobald sich die Kuppel über Chester's Mill senkt und die Situation immer auswegloser, die Hoffnung immer kleiner erscheint, wird hemmungslos geplündert, eine Redaktion der ortansässigen Zeitung niedergebrannt, es wird gefoltert und das Rechtssystem mit Füßen getreten. Jeder dieser zahlreichen Figuren kämpft ab nun an für sich selbst und findet einen beinah infantilen Gefallen am Quälen und Erniedrigen anderer. All diese Figuren mit ihren Marotten und ihren Bosheiten müssen sich im Laufe der Handlung mit den schmutzigsten Geheimnissen konfrontiert sehen, die King in diesem Kammerspiel aufdeckt, und die oftmals in Form einer Kindheitsangst bis in ihre Vergangenheit reichen. Aus einer ehemals idyllischen Provinz avanciert binnen kurzester Zeit ein totalitäres Schreckensregime, abgeschottet von der Außenwelt, mit ihren eigenen Gesetzen und Regeln. Doch anders als beispielsweise "In einer kleinen Stadt" nimmt der Horror und die daraus resultierende Bekämpfung des Grauens niemals evident-maskuline Züge an, in dem insbesondere Männer die entscheidende Rolle spielen, nein, in der Arena fokussiert King auch Frauen und sogar Kinder mit wichtiger Bedeutung, was dem Ganzen einen familiären, einen häuslichen Touch aufoktroyiert. "Die Arena" – summa summarum nicht nur per se ein Essay darüber, wozu Menschen in Extremsituationen fähig sind, auch eine Studie über den automatisch implizierten Gruppenzwang. "Ich glaube nicht, dass man gegen eine Gruppe ankommt, die zu Grausamkeiten entschlossen ist", sagt Julia, die Freundin des Kochs Barbie, kurz vor dem Finale.

Nun könnte man natürlich konstatieren, dass dieses gesamte Überlebenssujet im Grunde alles ist, was die Narration hergibt. Kuppel soll mit verschiedenen chemischen Substanzen durchbrochen werden; klappt nicht; Bürger laufen Amok, es entbrennt ein Kampf zwischen diversen Gruppierungen, Kuppel löst sich doch wieder auf, verschwindet, Happy End, Schluss, aus, fertig. Das dies alles auf der Makroebene geschieht, ist sicherlich richtig, aber wiederum falsch, beschränkt man sich nur auf diese, um dem Buch gerecht zu werden. Im Kern respektive der Mikroebene evoziert "Die Arena" vielmehr eine bitterböse Abrechnung mit dem Trauma Irak, repräsentiert aber auch Reflexion über 9/11, über die Klimakrise, ebenso wie über die Regierung Bush. Ein politischer Schriftsteller, ein überzeugter Demokrat war Stephen King zwar schon immer (man erinnere sich an die Seitenhiebe aus "Es"), aber so politisch direkt, so gesellschaftskritisch radikal war er noch nie. Da entpuppt sich der große Antagonist James Rennie, seines Zeichens bigotter, skrupelloser, egoistischer sowie paranoider Politiker, als ziemlich gelungene George W. Bush- (oder wenn man so will: Dick Cheney-)Imitation samt schwerwiegendem Herzleiden, wenn er seinen Mitbürgern mehr und mehr jegliche Grundrechte entzieht, wenn er gnadenlos lügt, betrügt, Intrigen inszeniert, und wenn er zuallererst Geld und Macht fokussiert, während außerhalb der Kuppel Barack Obama beschwichtigende Reden hält. Da stellt sich der angebliche Imbisskoch Dale "Barbie" Barbara als Kriegsveteran aus dem Irak heraus, der an einem Falludscha-Trauma leitet, und der mit seiner Heimat zugleich seinen Glauben verloren hat. Da stirbt im Showdown Chester’s Mill nach einer riesigen Explosion infolge der Luftverschmutzung aus etwaigen giftigen Gasen (Stichwort – Kohlenstoffdioxid) beinah am Klimatod – so intensiv geschrieben, dass man meint, aus dem Atmen gar nicht mehr herauszukommen. Hinzu kommt ein Drogenlabor, das von den Diktatoren der Stadt genutzt wird, so wie das bei den Taliban der Fall ist. Und wer genau hinschaut, wird eine weitere Analogie zur Realität erkennen, wenn Rennies Schergen, ein Trupp von einberufenen Schlägern, mit der umstrittenen Foltermethode der CIA, dem Waterboarding, kokettieren. "Mitleid ist was für starke Leute", wird in dem Zusammenhang in Anlehnung an Bush kommentiert, als sich der gefangene Barbara dieser Prozedur unterziehen muss, wenn er sich weiterhin dem Reden verschließt.

Neben dem selbstironisch in Szene gesetzten Product Plasement ("Whoopie Pies" etc.), der explizit geschilderten Gewalt (unterm Strich geht es recht heftig zur Sache), dem schwarzen Humor, den offensichtlichen Bibel-Konnotationen und den augenzwinkernden bis bissigen Referenzen an die Ära Bush/Cheney/Rumsfeld, ist "Die Arena" ungeachtet wesentlicher Krimi- als auch Thriller-Zutaten nicht zuletzt die King'sche Version eines italienischen Westerns, eines klassischen Westerns sowieso. Die Konstellation – unschuldiger Held wird in einer korrumpierten Stadt so lange zum Bösewicht denunziert, bis er sich wehrt; clever inszenierte Fluchtversuche, vor Suspense berstende Befreiungsaktionen inklusive – kennt man schon aus den Leone-Western, wie auch aus den Hawks- oder Ford-Western, prinzipiell aus allen zutreffenden Western, da sie dieses uralte, für das Genre jedoch teilweise obligatorische Erzählmuster erfunden, es quasi perfektioniert haben. Das Ende des Romans fällt dagegen außerordentlich flach aus. Stephen King war noch nie der große Autor, der seine Geschichten mit einem Twist, mit einer Pointe abschloss, um den Leser noch einmal in die Irre zu führen, ihn zu schockieren oder ihn hilflos zurückzulassen. Der hier skizzierte Showdown birgt in der Tat mehrere unangenehme Aspekte. Einerseits wird der zuvor genüsslich evozierte pessimistische Tenor dahingehend ad absurdum geführt, wenn King in den letzten Seiten aufgrund der (zu abrupten, nicht wirklich nachvollziehbaren und überdies der King'schen Übernatürlichkeit geschuldeten) Auflösung der Kuppel plötzlich einen Funken Optimismus versprüht, wodurch das Happy End reichlich deplatziert wirkt. Andererseits erscheint die eigentliche Auflösung und der damit verbundenen Idee mit den Pilzlederköpfen als ungemein lächerlich, ja, als unfreiwillig komisch, zumal es immer logisch erschien, dass die bösen Außerirdischen Schuld an dem Intermezzo tragen. Wenn King schon den Ursprung der Barriere konsequent umgeht – und das ist gut so -, stellt sich die Frage, ob es besser gewesen wäre, die Phantasie des Lesers erneut unter die Probe zu stellen, indem er die Kuppel einfach runterknallen und nicht wieder verschwinden lässt, ohne irgendwelche fiesen Kinder zu benutzen, welche die Einwohner der Stadt wie unter einem Brennglas beobachten – oder wie Ameisen im metaphorischen Sinne (ein netter Einfall).

Des Weiteren leidet "Die Arena" bisweilen arg an Vorhersehbarkeit. Wenn King beim ersten Angriff auf den Dome mittels einer Rakete dem Leser krampfhaft eine Spannungskurve auf unzähligen Seiten zu suggerieren versucht, ist das insofern unnötig, da man von Anfang an weiß, wie der Hase läuft. Dass nämlich der Erfolg ausbleiben, die "Wand" weiterhin stehen wird - was auch sonst? Wir befinden uns ohnehin erst auf Seite 400. Zum Glück wiederholt sich dieser Vorgang nicht, wenn der "Horrorpapst" den zweiten Angriff mit Säure ganz nebenbei erwähnt, was die einzig richtige Lösung ist. Dass diese Methode ebenfalls scheitert, auch das wissen wir vorher. Schwarzweißmalerei betreibt Stephen King schließlich mit seinen Figuren. Logisch, dass der Arzt, der Apotheker, die Journalistin, der Polizist, der Milchbauer, der Hühnerzüchter, die Stadtverordneten und die Stadtbibliothekarin, dieser Mikrokosmos an charakterlich starken und schwachen Individuen, plastisch ausschraffiert ist, weil King ihnen ebenso plastische Dialoge auf den Leib geschrieben hat, und deshalb ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit aufkommen kann. Doch es bleibt Schwarzweißmalerei, das kann man drehen und wenden, wie man will. Entweder es existieren narzisstisch veranlagte Schurken mit ihren stupiden Drahtziehern oder kämpferische Helden. Die Schurken ohne jedwede tragische Nuance, die Helden stets mit dem optimistischen Glauben an das Gute. In "Die Arena" bleiben die Guten jedoch gut und die Bösen… böse, jenseits einer bestimmten charakterlichen Entwicklung, gefangen in der Stereotypie. Selbst Barbies Depressionen aus dem Krieg wirken klischeehaft denn originell. Andere Personen aus dem King-Universum, wie etwa Jack Torrance oder Lisey Landon, waren greifbarer und komplexer, da sie ambivalent gezeichnet waren.

Fazit

Um das Nachwort des Romans wieder heranzuziehen – dort steht, dass King ein Buch schreiben wollte, "in dem das Gaspedal ständig durchgetreten bleibt". Ein Satz, so paradox wie skurril, ist es doch ein sehr langes Buch, wo das Gaspedal sehr lange durchgetreten bleiben muss und ein mehr als schwieriges Unterfangen darstellt. Stephen King hat es trotz einiger narrativer wie figurentechnischer Hänger durchaus geschafft, die Spannung ohne größere Längen aufrechtzuerhalten. Sein "Die Arena" markiert zusammen mit "Love" und "Wahn" eine Art Rehabilitation der letzten, mitunter etwas unkreativen Jahre, in denen Stephen King zumeist seichte Trivialliteratur ablieferte und sich nun zu alter Stärke besinnt. "Die Arena" ist zugleich allegorische Parabel und unheimlicher Grusel, hält seinem Leser permanent den Spiegel vor, verkörpert das äußerliche Fundament, um die wichtigsten Dinge unserer Zeit zu thematisieren, die aktueller denn je nicht sein könnten: Meinungsfreiheit, religiöser Fanatismus, Anarchie, Terrorismus, Umweltverschmutzung. "Die Arena" ist nicht Kings längstes Werk, es ist auch nicht sein bestes, es ist nicht der größte literarische Wurf der letzten Jahre, es kommt nicht an den mit ähnlichen Mitteln operierenden "Herr der Fliegen" (1954) oder Marlen Haushofers Text "Die Wand" (1963) heran, aber so soziologisch tiefgründig und mitreißend war schon lange kein Wälzer aus den Bestsellerlisten mehr.

8/10