Montag, 1. September 2008

Kurzkritik: Mord im Orient-Express (1974)



Story:

Der berühmte belgische Detektiv Hercule Poirot ist Passagier im Orient Express, der sich auf dem Weg von Instanbul nach Paris befindet. Irgendwo im Balkan bleibt der Zug jedoch im Schnee stecken und die angespannten Passagiere können leider nur auf baldige Hilfe hoffen. In dieser unglücklichen Situation kommt ein Mord natürlich denkbar ungünstig. Als Poirot in der Nacht nicht schlafen kann, hört er aus dem Nachbarabteil seltsame Geräusche. Am nächsten Morgen wird ein Toter in genau diesem Abteil gefunden – ermordet durch 12 Messerstiche. Es ist also klar, dass der Mörder sich noch im Zug befinden muss. Poirot sieht sich demzufolge gezwungen, seine grauen Zellen zu aktivieren und sich auf eine spannende Mördersuche zu begeben...

Kritik:

„Mord im Orient Express“. Das müsste wohl einer der berühmtesten Romane von Schriftstellerin Agatha Christie sein, die vor allem durch ihre allseits bekannten Krimis zu Weltruhm gelangte. Figuren wie der belgische Meisterdetektiv Hercule Poirot oder die altjüngferliche Miss Marple gehen zudem auf ihr Konto. Das sind ganz speziell gezeichnete Identifikationsfiguren für den Leser, die einen großen Reiz ihrer Romane und Kurzgeschichten ausmachen. „Mord im Orient Express“ entspringt aus der Romanreihe des Hercule Poirot, erschienen 1934 unter dem englischen Titel „Murder on the Orient Express“. Bislang wurde diese typische Mordgeschichte dreimal verfilmt, Sidney Lumets („Serpico“; „Die 12 Geschworenen“) Adaption des Stoffes dürfte dabei wohl die berühmteste sein – nicht nur aufgrund des riesigen Ensembles an Stars und Sternchen auf der Besetzungsliste. Mit eben jenem Film kreiert Lumet – gerade wenn der Zug in einer Schneeidylle stecken bleibt - ein atmosphärisch dichtes Szenario, welches von Schuld und Selbstvorwürfen geprägt ist. Mitfilfe einer Reise in die Vergangenheit, zu einem Verbrechen ganz am Anfang, belässt es Lumet nicht nur dabei, einen handelsüblichen Krimi nach einer Büchervorlage zu illustrieren, im Gegenteil, die Unfähigkeit, vergeben oder vergessen zu können ist es, was eher der Intention des Regisseurs entspricht. Desweiteren wecken hauptsächlich 2 Wörter das Interesse Lumets: Vergangenheit und Gegenwart. Wieweit kann das eine auf dem anderen lasten? Eine Frage, die letztendlich zu einem grausigen Mord führt, und dessen Aufklärung ein großes Maß an akribischer Arbei für Poirot bedeutet – somit also einer seiner schwierigsten Fälle. Eine Arbeit, die auf einer klaustrophobischen, kleinen, abgeschlossenen Welt durch minutenlange Verhöre der Fahrgäste dem Zuschauer näher gebracht wird. Dabei fährt „Mord im Orient Express“ eindeutig auf der Spur eines sich langsam entwickelnden, klassischen, aber dennoch sehr spannenden und raffinierten Krimis, der von Lumet sogar zum Psychothriller ausgeweitet wird. Ruhig und mit viel Gespür für die zu handelnden Personen erzählt. Erst Schritt für Schritt, inklusive so mancher falscher Fährten, offenbart sich einem da die Lösung des Falles, der Zuschauer wird häufig sogar gekonnt hinters Licht geführt, was sich dann in der nächsten Szene wieder relativiert. Eine gewisse Dialoglastigkeit für das Vorranbringen der Story ist dem Streifen ebenfalls nicht abzusprechen. Nichtsdestotrotz verliert „Mord im Orient Express“ durch seine Überlänge an einigen Stellen arg an Fahrt oder auch an Spannung, die Dialoge sind manchmal schon sehr langwierig, um nicht zu sagen, sehr zäh und/oder trocken, und auch das Ende mit dem für Agatha Christie so typischen, diesmal unendlich langen Twist, der alle zuvor Gesehene in den Schatten stellt, beeinhaltet für den Zuschauer eher ein unbefriedigendes Gefühl, was nicht heißen soll, dass das Ende schlecht ist, denn hier gewinnen ausnahmsweise mal nicht die Guten.


Was „Mord im Orient Express“ wirklich zu Gute kommt, sind die ausnahmslos bemerkenswerten Darstellungen der hochgelobten Besetzung. Sei es unter anderem (Sir) Sean Connery („Die Unbestechlichen – The Untouchables“; „The Rock – Fels der Entscheidung“) als taffer Colonel Arbuthnot, Anthony Perkins („Psycho“; „Der Prozess“) als nervöser, stets zittender Hector McQuenn, Lauren Bacall ("Misery"; "Dogville") als ominöse Mrs. Hubbard oder die für den Film oscarprämierte, zugegebenermaßen herausragende Ingrid Bergman („Herbstsonate“; „Berüchtigt“) als Greta Ohlsson: Drehbuchautor Paul Dehn („James Bond 007: Goldfinger“; „Der Spion, der aus der Kälte kam“) ist es gelungen, charakterlich sehr unterschiedliche, aber doch auch sehr interessante Individuuen zu zeichnen, die alle etwas gemeinsam zu haben scheinen, und deren Wege sich in ihrer Konstellation auf verschiedenste Weise miteinander kreuzten. Zweifellos sind diese Personen präzise und glaubhaft skizziert. Denn ohne vernünftige Figuren, würde der Film praktisch nicht funktionieren, sodass dieser Cast mehr als nur die halbe Miete für diesen narrativ anspruchsvollen, einem Kammerspiel-artigen Thriller ist. Und dann wäre da noch dieser Hercule Poirot. Ein belgischer Meister auf seinem Gebiet – dem Lösen von Verbrechen, insbesondere dem Lösen von Mordfällen. Albert Finney ("Simpatico“; „Ocean´s Twelve“) darf sich in diesem Film die Ehre geben, und den Poirot verkörpern. Eine Darstellung, die gegenüber der Romanvorlage wohl sehr authentisch sein soll (Allerdings habe ich das Buch nicht gelesen.), ohne dabei allzu ins ironische abzugleiten. Nein, Finney nimmt es ernst mit seinem Schauspiel. Brillant mimt er den schwarzhaarigen, sehr auf sein äußeres Erscheinungsbild bedachten, eitlen, intelligenten – obwohl seine grauen Zellen nur langsam arbeiten - und mit leicht übertriebenen Verhaltensweisen ausgestatteten Detektiv, der immer mal einen trockenen Scherz auf den Lippen hat. Wenn wir schon dabei sind: Der Humor ist es hauptsächlich, dieser feine, subtile Humor, der „Mord im Orient Express“ zu Gute kommt – „Spricht er Englisch?“ „Nun, eine Art von Englisch. Ich glaube er lernte es an einem Ort namens Chicago.“

Fazit:

Was bleibt, ist ein durchaus amüsanter, gehaltvoller, toll photographierter und ausgeklügelter Krimi-Thriller, der nach strenger antiquiert erscheinender Erzählweise daherkommt, sowie einen erstklassigen Cast und ideenreiche Charakterstudien besitzt. So macht Rätselraten Spaß, wengleich es dem Film doch an speziellen Ecken und Kanten fehlt, um in höhere Sphären aufzusteigen, und zum Klassiker zu mutieren. Kein Reißer, aber der Name Sidney Lumet machts schon.

7/10