Viele Menschen mögen in die Kirche gehen, aber es genügt eigentlich schon, sich einen Film von Steven Spielberg anzusehen. Steven-Spielberg-Filme sind Glaubenssurrogate, durch die wir an die Welt glauben. Die Sünde kommt erst später. Ab und an. Und in jedem Steven-Spielberg-Film kulminiert der Glaube in den Errungenschaften des Durchschnittshelden unter Umständen, die keineswegs durchschnittlich sind. Dann darf aufgeatmet werden, denn die Heldenreise findet (meist) in der Familie ihr Ende, ihren Ausklang, ihren Epilog, ihre romantische Aufweichung und erhebende Entweichung. Einheit. Vertrautheit. Wonne. Wenn in "Die Verlegerin" schließlich die Zeitungsmaschinen arbeiten (dürfen), dann vibriert das Redaktionsgebäude, dann klappert die Tasse, dann muss Ben Bagdikian (Bob Odenkirk) lächeln. Ein Lächeln, das Beweis ist: Der lange Kampf, obgleich mit schmutzigen Mitteln ausgetragen, lohnt sich dennoch, weil er das Böse im Guten reinigt.
Es gibt die Spielberg-Filme, die diesen Kampf eskapistisch ausschmücken, und es gibt die Spielberg-Filme, die diesen Kampf historisch interpretieren. Der Wechsel zwischen Eskapismus und Historie, zwischen Flucht und Erinnerung, zwischen Geschichten und Geschichte ist einer, der in Spielbergs Filmografie keinen festen Rhythmus aufweist – zu willkürlich variiert Spielberg sowohl die eine als auch die andere Schlagrichtung. In beiden Varianten allerdings waltet ein Auseinanderstreben unvorstellbarer menschlicher Kräfte, deren Lösung für den friedensstiftenden Gemeinsinn, dieses Auseinanderstreben aufzuhalten, kosmische Notwendigkeit ist. "Die Verlegerin" nun gehört der historischen Bausubstanz Spielbergs an, mit der sich amerikanische Kontroversen amerikanisch lösen lassen. Gleichfalls aber verkörpert der Film eine Rückschau, er blickt auf ein Land der Verunsicherung und Kriegstraumata. Ein fast erwachsener Spielberg-Film: alteingesessen, aber scharfsinnig und dynamisch.
Das ist insofern überraschend, weil der journalistische Thriller schwer in spannende, fiebrige Bilder auflösbar ist. Die Bilder, mit denen der journalistische Thriller operiert, sind Bilder von steifen Schuss-Gegenschuss-Konferenzdialogen in dunkelschweren, erbleichten Räumen. New-Hollywood-Schule eben. Und in den 1970er Jahren mag das eine subversive Formsprache gewesen sein ("Die Unbestechlichen" von 1976), ehe es die Einfallslosigkeit und Rückwärtsentwicklung eines TV-Kinos ("Spotlight" von 2015) umso mehr beschleunigte. Im Gegensatz dazu konterkariert Spielberg die charakteristischen Abgeschmacktheiten des Genres, indem er einmal mehr auf seinen Stammkameramann Janusz Kaminski vertraut. Kaminskis zittrige, feinziselierte Kameraschwenks, möglichst viele Details in einer einzigen (Wellen-)Bewegung zu erfassen, erzeugen einen furiosen Takt, der maßgeblich ist – und aus einem gesetzten Drama ein existenzielles Weltendrama macht.
Pauken und Trompeten – in Kaminskis Fall eher: inhaltsschweres Licht, das auf die Protagonisten herabstrahlt – brechen dabei bewusst mit jenem Formalismus, der dem journalistischen Thriller inhärent ist: brechen mit dessen analytischer Schärfe, mit dessen reduzierten Emotionen. Nicht, dass Spielbergs Geschichtsstunden auch irgendwo Märchenstunden sind, aber nichtsdestoweniger packt Spielberg für knapp zwei Stunden sein Publikum dort, wo es irrtümlicherweise glaubt, einfach Geschichte nacherzählt zu bekommen. Und die versteckt sich in "Die Verlegerin" tatsächlich. Ein altmodischer Film, präzise wie die am allerbesten arbeitende Spannungsmaschine schlechthin und voller Handwerk, bei dem Zeitungen noch auf die denkbar physischste Weise zusammengesteckt wurden. Kaminskis Kamera nähert sich diesen Prozessen von Herstellung und Verbreitung gravitätisch, wodurch das Kind in Spielberg zum Vorschein kommt und damit die unbedingte Erforschungsobsession.
Zentral für diesen Film ist die Frage, ob journalistische Integrität auch dann gewährleistet ist, wenn das Berufliche mit dem Privaten vermischt und verwischt wird. Meryl Streep und Tom Hanks spielen zwei Spielberg-Identifikationsprototypen, die sich aus einer misslichen moralischen, da ambivalenten Lage befreien müssen: Einerseits ist die Versuchung groß, jene Pentagon-Papiere zu drucken, die der Wirtschaftlichkeit einer maroden Zeitung zugutekommen, andererseits jedoch werden, daran gekoppelt, nachträglich Politiker angeklagt, die im engsten Umfeld beider nicht als Quelle, sondern als Freunde fungierten. Auf welche Seite sich Spielberg in dutzenden raffiniert montierten Diskursen stellt, wird alsbald deutlich. "Die Verlegerin" stimmt letztlich ein Hohelied von Verantwortung und Pressefreiheit an, nicht frei von Humor und Pathos, gleichwohl beseelt von der notwendigen Ernsthaftigkeit und Überzeugung, dass das Kino immer noch am prächtigsten manipuliert.
Das Spielberg-Kino manipuliert dort, wo es ausspart. Die Person Nixon – von John Williams' unangenehm tickenden Noten zur Persona non grata erklärt – bleibt ein Abstraktum des Bösen, dauertelefonierend, brüsk, ein Typ zwischen den Fenstern des Weißen Hauses. Die Abschwächung der "Gegenseite" geht einher mit der Aufwertung des Heldischen. Nebenbei nämlich erzählt Spielberg (hochmodern) von den Erschwernissen, inmitten männlicher Konkurrenz sich als Frau durchzusetzen. In Meryl Streep wird die verstörende Unsicherheit einer Frau greifbar, die eine Firma geerbt hat und lediglich das Glück an jeden ihrer Mitarbeiter herantragen will. Das Geschäft, in dem Männer sich an langen Tischen formieren, allerdings verlangt es, dass ihre vorbereiteten Stichpunktzettel in Wahrheit den Schwund ihrer Macht zeigen. Vielleicht dokumentiert Spielberg in "Die Verlegerin" die Geburtsstunde des investigativen Journalismus, aber ebenso sehr die Geburt von Selbstbewusstsein und von Bewusstsein gegenüber der Geschichte.
6.5 | 10