Mittwoch, 31. August 2016

Jarmusch-Retro #4: "Mystery Train" [USA, J 1989]


Was genau umwickelt drei einander kreuzende Episoden wankelmütigen Glücks? Typen, die, verloren im Weltall, in Memphis pilgern, vegetieren, träumen. Der Klebstoff, das Miteinander zu kitten: der Song "Blue Moon", ein Hotel, ein Pistolenschuss. Durch die Nacht. Durch die Träume. In Amerika. In Memphis. "Mystery Train" erweist sich als Memphis-Film schlechthin, porträtiert farbkräftig wie ausgesprochen nostalgisch eine Stadt antiker Mythen, die ihren Mythos nichtsdestotrotz erhalten konnten, den Geist von Elvis, den Trotz von Geschichten. In Memphis wuchern sie, die Geschichten, überschlagen, wiederholen sich. Geschichten von Elvis-Geistern, die per Anhalter chauffiert werden, Geschichten von linken Kioskverkäufern und weißen Billardkugeln, die zwar Schwarz berühren, aber sich irrtümlicherweise selbst einlochen. Steve Buscemi und Tom Noonan sind lediglich zwei dieser am Rande der Bordsteinkante kauernden Nachtschwärmer, die dem "Mystery Train" entstiegen sein müssen – verirrt in diese Räuberdichtung trüben Lichts und verwischenden Lippenstifts. "Mystery Train" gehört zu den allerschönsten Jarmusch-Paradoxa: Um aufzusteigen, müssen wir absteigen. Es reicht allerdings, sich in den löchrigen Ledersessel zu werfen, um den inneren Raum zu reinigen, mit Fotos von Dingen zu schmücken, die wir vergessen. Sorgfältig komponiert, weicht Jarmusch nicht von seinem Weg ab, in der Zufälligkeit des Erzählten, Erzählenden, Gesagten und Sagenden Kausalitäten zu entwerfen, die Geistern den Körper zurückgeben.

7 | 10


Originaltext