Story
Kritik
Fazit
Altes Bauernpaar. Bestialisch ermordet. Kein Motiv. Kein Täter. Keine Spur. Möglicherweise Ausländer als Täter. Doppelleben des Opfers. Kurt Wallander ermittelt...
Kritik
Kurt Wallander bringt nicht gerade die optimalsten Voraussetzungen mit, um als hartgesottener Superbulle bestehen zu können. Seine Tochter hat sich von ihm distanziert, seine Frau verließ ihn, sein Vater verachtet ihn und er ist zwei Schritte davon entfernt, ein hemmungsloser Alkoholiker zu werden. Er ist fett, träge, unattraktiv, pessimistisch, permanent zerfressen von Schuldgefühlen, umgeben von Bitterkeit, Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit, stets auf der Suche nach Beschäftigung, vor allem nach einem Menschen, nach Liebe.
Henning Mankells berühmter Ermittler aus Schweden kann folgerichtig gar keine klassische Identifikationsfigur für den Leser sein. Statt einer weißen Weste ohne Flecken und intakter Familie trägt Wallander eine dunkelgraue mit schwarzen Farbtupfern. Des Kommissars Familienverhältnisse lassen sich mit dem Wort "desolat" hingegen am treffendsten beschreiben. Keine Chance von vornherein also, mit Wallander auf einer Seite zu stehen, zu kämpfen, vielleicht sogar mitzuleiden? Nicht ganz. Das Bemerkenswerte an dieser ambivalenten Figur, die im Laufe der 10-teiligen Reihe sukzessive weiterentwickelt wird, ist ja gerade ihre Ecken und Kanten, ihre Schwächen, kurz: ihre Normalität.
Fernab jedweder Makellosigkeit hat Mankell einen glaubwürdigen Durchschnittstypen aus der Literaturkiste herausgekramt, der schon bald weltweite kommerzielle Erfolge verbuchen sollte, weil er eigentlich so ist, wie wir alle sind. Dabei kokettiert Mankell in "Mörder ohne Gesicht" dem Debütroman der Krimisaga, unzweifelhaft mit für Wallander ersten verhaltenstypischen Marotten wie dem ihm zugrunde liegenden Idealismus, der bisweilen stark präsenten Libido (dahingehend, als er sich in die Staatsanwältin verliebt) und dem selbst nach erfolgreichen Ermittlungen omnipräsenten Gedanken ans Scheitern, während der Autor im Hintergrund seinen Krimiplot aufzieht und diesen mit Wallanders sozialen Verflechtungen verquickt. Hinzu kommt Wallanders in vielerlei Hinsicht hilfreiche Beziehung mit Rydberg, seinem einzigen richtigen Freund respektive seinem Vorbild, den er nämlich ob Rydbergs analytischem Verstand gemeinhin bewundert. Prägnante Charakterzüge, im ersten Band lediglich angerissen, in den nachfolgenden Büchern umso konsequenter weitergesponnen.
In Anbetracht des Krimiteils als solches recycelt Mankell das dramaturgische Einmaleins zeitgenössischer Genreliteratur, legt falsche Fährten, lässt unseren Antihelden in beklemmenden Suspense-Momenten schnüffeln, verfolgen, rätseln, sich von anonymen Anonymen bedrohen, präsentiert darüber hinaus zwielichtige Verdächtige, um den Leser bewusst in die Irre zu führen (besonders erwähnenswert – die Verhöre jener drei angeblichen Ehefrauen des Ermordeten). Das Ziel ist der richtige Weg durch ein engmaschiges Geflecht aus Wahrheit und Lüge, und darum, die am wenigsten auffallende Kombination aus verborgenen Details zu erfassen.
Wallanders erster Fall ist äußerst spannend geschrieben. Intelligent versteht es Mankell, den scheinbar einfachen Mord zur gnadenlos vertrackten Geduldsnummer aufzublähen, bei der im Grunde sowohl Wallander als auch der Leser ebenso handlungsunfähig und dennoch geradezu exzessiv nach Indizien forschen. Mankells Stil ist schlicht, ohne große Umschweife direkt auf den Punkt hin geschrieben. Wichtige Ereignisse werden spätestens dann zu unwichtigen Ereignissen degradiert, wenn diese mit Hilfe eines einzigen Hauptsatzes kurz und bündig reflektiert werden. Für nähere Erläuterungen bleibt dagegen keine Zeit. Warum auch.
Vor allzu konstruierten Trivialitäten kann aber auch ein Mankell nicht fliehen, insbesondere dann, wenn die allseits beliebten Zufallsnummern heraufbeschwört werden. Immerhin ist Wallander just in dem Augenblick zur richtigen Zeit an Ort und Stelle zu finden, als ein Asylantenheim angezündet wird. Er ist es, der so ganz zufällig den Verdächtigen überführt und ihn sogar auf frischer Tat ertappt, nachdem er ihm durch die Nacht folgte. Und schließlich kapitulieren sämtliche Zeugen spätestens beim Verhör mit Kurt Wallander, obwohl sie sich vorher, wohlgemerkt: konsequent, der Aussage im Angesicht aller erdenklichen Kollegen auf dem Polizeipräsidium verweigerten. Seltsam, nicht? Eine mindestens ebenso obskure Angelegenheit bleibt indes die erste Spur des Doppelmordes – ein Knoten, wahrscheinlich ausländischer Herkunft, möglicherweise Südamerika. Warum ausgerechnet Südamerika, obgleich die Täter aus dem Osten Europas stammen, erklärt Mankell nicht. Warum die Täter überhaupt solch irreale Gewalt an ihren Opfern anwendeten, um den vergleichsweise leichten Diebstahl einer hohen Geldsumme durchzuführen, auch nicht.
Nach diskutablem Überbrücken von zig Monaten erreicht "Mörder ohne Gesicht" schließlich recht schnell die Ziellinie und führt mit der damit einhergehenden Auflösung des ursprünglichen Falles Vorangegangenes komplett ad absurdum. Das kann man mögen, muss man aber nicht. Konzeptionell entpuppt sich die Pointe jedenfalls als keineswegs schlecht, sondern mutig, weil originell - sofern man diversen Klischees und darin implementierten Vorhersehbarkeiten aus der verstaubten Polizeikrimikiste Einhalt gebieten kann. Und die ist ziemlich leergeräumt wurden. Beide Täter werden im letzten Augenblick genau da geschnappt, den man als letzten möglichen in Betracht gezogen hatte. Unglaubwürdig wird Mankell überdies beim scheinbar fotografischen Gedächtnis einer Bankangestellten, die sich an ein Ereignis vor einem halben Jahr mitsamt genauer Details erinnert, einschließlich abgehobener und eingezahlter Summen des jeweiligen Kunden. Wie gesagt – diskutabel.
Politisch konnotiert waren Mankells verworrene Labyrinthe seit eh und je. Auch "Mörder ohne Gesicht" zieht einen politischen Subtext-Schwanz hinter sich her. Nicht umsonst repräsentiert der Roman Kritik an gegenwärtiger Einwanderungspolitik Schwedens respektive dessen laxer Umgang mit einbürgerungswilligen Migranten, sodass die Gefahr einer Forcierung von Straftaten bestehe. Zudem artikuliert Wallander oft die tendenzielle Überforderung infolge der zunehmenden Macht- und/oder Planlosigkeit von staatlichen Behörden. Kurt Wallander ist de facto Henning Mankells Stimme, gesellschaftliche Missstände anzuprangern, um Toleranz und Liberalität zu proklamieren.
"Mörder ohne Gesicht" erzählt aber auch von einem anderen Land, wie wir es bisher kennen, von einem Entwicklungsprozess. "Mörder ohne Gesicht" demontiert Schweden, das IKEA-Land, welches kitschigen Assoziationen wie einer gemütlichen Lagerfeuerstimmung im wiederum gemütlichen Holzhaus im Urlaub ausgesetzt ist, hin zum ungemütlichen, kalten, stürmischen Schweden, Quelle etlicher rauer Unwetter, wo unter der unschuldigen Oberfläche die grausamsten Phantasien keimen. Wer hätte das gedacht? Selbst Kurt Wallander ist fürs Erste fassungslos, als er zum Tatort gerufen wird. Da, wo stets ländliche Idylle herrschte und man vom hektischen Alltag Stockholms gern zum Entspannen ein paar Kilometer abseits hier herkam, nur um festzustellen zu müssen, dass sich die Verbrecherstatistiken von Stadt und Land bedauerlicherweise peu à peu angleichen.
Henning Mankells berühmter Ermittler aus Schweden kann folgerichtig gar keine klassische Identifikationsfigur für den Leser sein. Statt einer weißen Weste ohne Flecken und intakter Familie trägt Wallander eine dunkelgraue mit schwarzen Farbtupfern. Des Kommissars Familienverhältnisse lassen sich mit dem Wort "desolat" hingegen am treffendsten beschreiben. Keine Chance von vornherein also, mit Wallander auf einer Seite zu stehen, zu kämpfen, vielleicht sogar mitzuleiden? Nicht ganz. Das Bemerkenswerte an dieser ambivalenten Figur, die im Laufe der 10-teiligen Reihe sukzessive weiterentwickelt wird, ist ja gerade ihre Ecken und Kanten, ihre Schwächen, kurz: ihre Normalität.
Fernab jedweder Makellosigkeit hat Mankell einen glaubwürdigen Durchschnittstypen aus der Literaturkiste herausgekramt, der schon bald weltweite kommerzielle Erfolge verbuchen sollte, weil er eigentlich so ist, wie wir alle sind. Dabei kokettiert Mankell in "Mörder ohne Gesicht" dem Debütroman der Krimisaga, unzweifelhaft mit für Wallander ersten verhaltenstypischen Marotten wie dem ihm zugrunde liegenden Idealismus, der bisweilen stark präsenten Libido (dahingehend, als er sich in die Staatsanwältin verliebt) und dem selbst nach erfolgreichen Ermittlungen omnipräsenten Gedanken ans Scheitern, während der Autor im Hintergrund seinen Krimiplot aufzieht und diesen mit Wallanders sozialen Verflechtungen verquickt. Hinzu kommt Wallanders in vielerlei Hinsicht hilfreiche Beziehung mit Rydberg, seinem einzigen richtigen Freund respektive seinem Vorbild, den er nämlich ob Rydbergs analytischem Verstand gemeinhin bewundert. Prägnante Charakterzüge, im ersten Band lediglich angerissen, in den nachfolgenden Büchern umso konsequenter weitergesponnen.
In Anbetracht des Krimiteils als solches recycelt Mankell das dramaturgische Einmaleins zeitgenössischer Genreliteratur, legt falsche Fährten, lässt unseren Antihelden in beklemmenden Suspense-Momenten schnüffeln, verfolgen, rätseln, sich von anonymen Anonymen bedrohen, präsentiert darüber hinaus zwielichtige Verdächtige, um den Leser bewusst in die Irre zu führen (besonders erwähnenswert – die Verhöre jener drei angeblichen Ehefrauen des Ermordeten). Das Ziel ist der richtige Weg durch ein engmaschiges Geflecht aus Wahrheit und Lüge, und darum, die am wenigsten auffallende Kombination aus verborgenen Details zu erfassen.
Wallanders erster Fall ist äußerst spannend geschrieben. Intelligent versteht es Mankell, den scheinbar einfachen Mord zur gnadenlos vertrackten Geduldsnummer aufzublähen, bei der im Grunde sowohl Wallander als auch der Leser ebenso handlungsunfähig und dennoch geradezu exzessiv nach Indizien forschen. Mankells Stil ist schlicht, ohne große Umschweife direkt auf den Punkt hin geschrieben. Wichtige Ereignisse werden spätestens dann zu unwichtigen Ereignissen degradiert, wenn diese mit Hilfe eines einzigen Hauptsatzes kurz und bündig reflektiert werden. Für nähere Erläuterungen bleibt dagegen keine Zeit. Warum auch.
Vor allzu konstruierten Trivialitäten kann aber auch ein Mankell nicht fliehen, insbesondere dann, wenn die allseits beliebten Zufallsnummern heraufbeschwört werden. Immerhin ist Wallander just in dem Augenblick zur richtigen Zeit an Ort und Stelle zu finden, als ein Asylantenheim angezündet wird. Er ist es, der so ganz zufällig den Verdächtigen überführt und ihn sogar auf frischer Tat ertappt, nachdem er ihm durch die Nacht folgte. Und schließlich kapitulieren sämtliche Zeugen spätestens beim Verhör mit Kurt Wallander, obwohl sie sich vorher, wohlgemerkt: konsequent, der Aussage im Angesicht aller erdenklichen Kollegen auf dem Polizeipräsidium verweigerten. Seltsam, nicht? Eine mindestens ebenso obskure Angelegenheit bleibt indes die erste Spur des Doppelmordes – ein Knoten, wahrscheinlich ausländischer Herkunft, möglicherweise Südamerika. Warum ausgerechnet Südamerika, obgleich die Täter aus dem Osten Europas stammen, erklärt Mankell nicht. Warum die Täter überhaupt solch irreale Gewalt an ihren Opfern anwendeten, um den vergleichsweise leichten Diebstahl einer hohen Geldsumme durchzuführen, auch nicht.
Nach diskutablem Überbrücken von zig Monaten erreicht "Mörder ohne Gesicht" schließlich recht schnell die Ziellinie und führt mit der damit einhergehenden Auflösung des ursprünglichen Falles Vorangegangenes komplett ad absurdum. Das kann man mögen, muss man aber nicht. Konzeptionell entpuppt sich die Pointe jedenfalls als keineswegs schlecht, sondern mutig, weil originell - sofern man diversen Klischees und darin implementierten Vorhersehbarkeiten aus der verstaubten Polizeikrimikiste Einhalt gebieten kann. Und die ist ziemlich leergeräumt wurden. Beide Täter werden im letzten Augenblick genau da geschnappt, den man als letzten möglichen in Betracht gezogen hatte. Unglaubwürdig wird Mankell überdies beim scheinbar fotografischen Gedächtnis einer Bankangestellten, die sich an ein Ereignis vor einem halben Jahr mitsamt genauer Details erinnert, einschließlich abgehobener und eingezahlter Summen des jeweiligen Kunden. Wie gesagt – diskutabel.
Politisch konnotiert waren Mankells verworrene Labyrinthe seit eh und je. Auch "Mörder ohne Gesicht" zieht einen politischen Subtext-Schwanz hinter sich her. Nicht umsonst repräsentiert der Roman Kritik an gegenwärtiger Einwanderungspolitik Schwedens respektive dessen laxer Umgang mit einbürgerungswilligen Migranten, sodass die Gefahr einer Forcierung von Straftaten bestehe. Zudem artikuliert Wallander oft die tendenzielle Überforderung infolge der zunehmenden Macht- und/oder Planlosigkeit von staatlichen Behörden. Kurt Wallander ist de facto Henning Mankells Stimme, gesellschaftliche Missstände anzuprangern, um Toleranz und Liberalität zu proklamieren.
"Mörder ohne Gesicht" erzählt aber auch von einem anderen Land, wie wir es bisher kennen, von einem Entwicklungsprozess. "Mörder ohne Gesicht" demontiert Schweden, das IKEA-Land, welches kitschigen Assoziationen wie einer gemütlichen Lagerfeuerstimmung im wiederum gemütlichen Holzhaus im Urlaub ausgesetzt ist, hin zum ungemütlichen, kalten, stürmischen Schweden, Quelle etlicher rauer Unwetter, wo unter der unschuldigen Oberfläche die grausamsten Phantasien keimen. Wer hätte das gedacht? Selbst Kurt Wallander ist fürs Erste fassungslos, als er zum Tatort gerufen wird. Da, wo stets ländliche Idylle herrschte und man vom hektischen Alltag Stockholms gern zum Entspannen ein paar Kilometer abseits hier herkam, nur um festzustellen zu müssen, dass sich die Verbrecherstatistiken von Stadt und Land bedauerlicherweise peu à peu angleichen.
Fazit
Durchweg souverän aufgezogener Erstling der Wallander-Reihe, ebenso atmosphärisch dicht wie narrativ raffiniert, wenn auch nicht durchgehend logisch strukturiert. "Mörder ohne Gesicht" ist nachdenkliche Charakterstudie, Sozialdrama und politischer Krimi in einem. Mankell beweist, dass er es virtuos beherrscht, die Konfrontation von Polizisten mit ihren ganz persönlichen Abgründen zu erforschen.
7/10